Emotional in die Oper verstrickt

Marlis Petersen gibt ihr Rollendebüt als Manon.

Mancher wusste es schon beim Haus-Debüt der Sängerin: „Die Barockmusikerfahrene Marlis Petersen spielt und singt bei ihrem Staatsoperndebüt die Lulu so, als wäre sie bei dieser geradlinigen, genauen und auf allen Schnickschnack verzichtenden Willy-Decker-Inszenierung von Anfang an dabei gewesen.“ Oder: „Präzis führt sie ihren klaren, lyrischen Sopran durch die Klippen der Partie, zeigt sich koloraturgewandt und höhensicher. Eine vielversprechende Begegnung.“ Ersterer war Derek Weber in den Salzburger Nachrichten, Zweiterer Stefan Musil in der Presse. Man schrieb das Jahr 2002, der Staatsopern- Einstand der Sängerin war erfolgreich absolviert und man wartete auf weitere spannende Begegnungen. Hier könnte man es sich leicht machen und ein eindrucksvolles Pasticcio der schönsten Wiener Pressestimmen zu den folgenden Auftritten abdrucken. Zumal Petersen mit der Sophie im Rosenkavalier, der Violetta in der Traviata und vor allem mit der für sie geschriebenen Titelpartie in Aribert Reimanns Medea – eine Staatsopern-Uraufführung – sich hier in repräsentativen und sehr unterschiedlichen Rollen zeigte. Doch das ist ohnehin allgemein bekannt. Nämlich: Dass Petersen eine Traviata ist, die nicht nur allen Verdi’schen Schöngesang zu formen versteht, sondern auch das Innere der Figur ergründet und erspielt. Ganz wie es Verdi forderte. Oder, dass sie in der halsbrecherischen Medea-Partie die Synthese zwischen Spiel und Gesang, zwischen Innerlichkeit und Ausdruckstiefe zu erzeugen weiß. Man wusste: Hier passiert eine der Staatsopern-Sternstunden, die ab nun zum Erzählrepertoire aller Dabeigewesenen gehören wird.

Schon diese Staatsopern-Auswahl zeigt, wie breit angelegt das Repertoire der Sopranistin ist. Mehr noch: Im Konzertbereich reicht es von den großen Passionen Bachs die Musikgeschichte aufwärts über Händel, Haydn, Mozart und Beethoven zu Webern, Krenek, Crumb bis Johanna Doderer, mit Zwischenstopps bei Brahms, Mahler und Schreker.Im Opernbereich wiederum von Händels Alcina über eine breite Auswahl an Mozart-Partien bis Verdi und Richard Strauss, Berg und Janáček. Dazu ein Schwerpunkt auf zeitgenössische Musik: Henze, Reimann,Tojahn ...

Diese Offenheit gegenüber den unterschiedlichsten Formen der Musik beziehungsweise des Musiktheaters begleitet sie bereits ein Leben lang. So studierte sie nicht nur klassischen Operngesang, sondern auch ein wenig Jazz und Stepptanz, lernte ursprünglich Schulmusik und Klavier und kennt so das gesamte Spektrum zwischen Partiturspiel und Chormusik. Und eben alle Epochen: vom Barock bis zum Zeitgenössischen. Petersen: „Ich habe von Anfang an geliebt, viele verschiedene Stile und Gattungen zu singen … das Reich der Musik ist so wunderbar und unerschöpflich, dass ich mich keinesfalls auf eine bestimmte Richtung festlegen will. Die Vielfalt hält auch die Stimme und den Geist flexibel und offen und wenn man umsichtig ist und nach einem Ausflug ins Zeitgenössische oder in die spätromantische Oper noch Bach und Mozart singen kann, ist man auf dem richtigen Weg.“ Einen besonderen Stellenwert hat auch der Liedgesang, dem sie sich mit fein konzipierten Programmen nähert: „Das Lied bietet einen riesigen Kosmos an Möglichkeiten. Ich habe das selbst erst spät entdeckt und bin immer wieder überrascht, welchen Reichtum es bietet“, befand sie in einem Opernglas-Gespräch. Eine Liebe, die auf Gegenliebe stößt. So schwärmt ihr langjähriger Begleiter, der Pianist und Staatsopern-Repetitor Jendrik Springer in höchsten Tönen über die Sopranistin: „Ich finde beim gemeinsamen Erarbeiten der Liedliteratur  großartig, dass sie – von ihren stimmlichen Qualitäten gar nicht gesprochen – ihre wunderbare Musikalität mit einem im besten Sinne opernhaften Zugang zum Lied kombiniert. Dieser bietet einfach sehr viel mehr Dramatik und Direktheit als ich von vielen anderen Liedsängern heute gewöhnt bin.“ Und doch: der eigentliche Fokus liegt auf der Oper, wie Petersen im Gespräch ausführt.

Surft man auf Petersens Webseite, so findet man die Rubrik „Leute“: hier verweist und beschreibt sie all jene und jenes, was ihr wichtig ist. Künstler, Menschen mit Heilkraft, ganzheitlich angelegt. Man spürt ihre Hingabe an dieses Thema. Betrifft das auch das Musiktheater? „Oper ist für mich sicher ganzheitlich. Nur so kann ich ein Stück wirklich durchdringen, wenn die Psychologie der Figur, ihre Umstände und Zeitzusammenhänge in mich eindringen und durch die Interpretation des Regisseurs dann auf der Bühne wieder neu heraus kommen. Das ist mir als Künstlerin eine Sache der Ehre und des Respekts, dem Publikum nicht nur schönen Gesang abzuliefern, sondern die Menschen auch in eine emotionale Geschichte zu verwickeln, die sie berührt.“

An der Wiener Staatsoper wird sie im November eine neue Rolle zu ihrem Repertoire hinzufügen: jene der Manon in Jules Massenets gleichnamiger Oper. Der Stoff, der auf dem autobiografischen Roman des Abbé Prévost basiert erzählt die Geschichte der vergnügungssüchtigen Manon, die zwischen wahrer Liebe und den Verlockungen der Luxuswelt hin und her gerissen wird und zuletzt tragisch stirbt. Eine Schwester der Traviata? „In gewisser Weise sind da tatsächlich Ähnlichkeiten, besonders im Sterben in den Armen des Geliebten. Manon ist jedoch zu Beginn der Oper ein junges, frisches Mädel, unbedarft und offen und für das Kloster, in das sie soll, gänzlich untauglich ... Violetta ist schon zu Beginn von Krankheit gezeichnet und als Kurtisane unterwegs, das beeinflusst den Lauf der Geschichte natürlich erheblich anders als bei Manon, die vielleicht doch mehr von der Verführung des Reichtums angezogen ist, als von der treuen Liebe des Des Grieux. Dass die Liebe aber das Wesentliche ist, erkennt sie zu spät, wobei Violetta schon in ihrer ersten Arie fasziniert ist von der Idee, dass vielleicht doch EIN Mann sie glücklich machen kann. Die Wirren der Liebe eben, ohne die es keine Oper gäbe ...“, meint Petersen.

Dass sie – nach Les Contes d’Hoffmann, Thaïs und anderen entsprechenden Opern – eine besondere Beziehung zum französischen Fach hat, zeichnet sich in ihrer künstlerischen Biografie immer wieder ab. „Die französische Musik wirft mich immer wieder um“, erzählt sie, „bei Oper und auch beim Lied! Es passiert mir sehr oft, dass ich ganz nüchtern ans Lernen einer französischen Partie gehe und dann nach kurzer Zeit von der Leidenschaft überwältigt bin, die in der Musik steckt. Mir liegt das französische Fach irgendwie geschmeidig in der Kehle, obwohl ich die Sprache gar nie in der Schule gelernt habe, sie sich aber doch leicht erschließt, weil Text und Musik ineinander verschmelzen und man auf musikalischen Wogen getragen wird.“ Und sie fügt hinzu: „Auf Manon freue ich mich seit Jahren und bin sehr dankbar, dass sie jetzt an der Wiener Staatsoper zum ersten Mal für mich kommt! Sehr aufregend …“

Oliver Láng


Jules Massenet

Manon

7., 11., 13., 16. November