Eingebungen in die Magie des Theaters
An der Wiener Staatsoper brillierte die amerikanische Sopranistin Lise Lindstrom bereits mehrfach als Salome – nun stellt sie sich dem Wiener Publikum in einer ihrer weiteren Paraderollen vor: als unnahbare chinesische Prinzessin Turandot. Knapp vor Probenbeginn gab die Premierensängerin Andreas Láng das nachfolgende Interview.
Sie singen ein breites Repertoire, dennoch weist Ihr Terminkalender überdurchschnittlich viele Salome- und Turandotauftritte auf? Warum?
Lise Lindstrom: Beide Rollen singe ich sehr gern, aber ein bisschen merkwürdig ist es schon: Obwohl die Rollen sehr unterschiedlich sind, indentifiziere ich mich in vielen Punkten mit diesen – im wahrsten Sinne des Wortes – mörderischen Frauenrollen. Wissen Sie, mir gefällt es, die menschlichen Schichten hinter diesen sehr außergewöhnlichen Charakteren herauszuarbeiten, das „Warum“ ihres Handelns zu ergründen.
Können Sie sich erinnern, wann Sie die erste Turandot als Zuschauerin sahen?
Lise Lindstrom: Ja, ich erinnere mich ganz genau: Es war an der San Francisco Opera eine Vorstellung mit Éva Marton in der Titelpartie. Ich war nach der Aufführung ganz benommen. „Genau so“, dachte ich mir, „genau so hat echtes Singen, hat echte Oper zu sein.“
Und empfanden Sie damals nicht die ersten Regungen, die Partie selber singen zu wollen?
Lise Lindstrom: Nein, nicht wirklich. Mit dem Gedanken des Ausprobierens habe ich schon gespielt, aber als echte Option sah ich die Turandot für mich nicht. Selbst als ich die Rolle, Jahre später, tatsächlich erstmals auf einer Bühne sang – es war 2003 bei einer kleinen Kompanie in den USA – hatte ich absolut nicht das Gefühl, das Richtige für mich gefunden zu haben. Zunächst beim Studium der Turandot erschien sie mir so unsagbar schwer, dass ich sogar lange nicht an ein Ende des Tunnels glauben wollte. Erst am Ende dieser ersten Aufführungsserie sagte ich mir: Vielleicht, vielleicht, vielleicht kann ich mit dieser Prinzessin doch etwas anfangen.
Und wann wussten Sie: ja, die Partie passt ausgezeichnet?
Lise Lindstrom: Ab der dritten Produktion.
Hat diese Liebe, die auf dem Tod einer Unschuldigen basiert, für Calaf und Turandot überhaupt eine Zukunft?
Lise Lindstrom: Ich weiß es nicht, ehrlich nicht! Hat Liebe überhaupt eine Zukunft in welcher Beziehung auch immer? Auf jeden Fall hat Liùs Tod etwas Wesentliches bewirkt, es machte für Turandot den Weg frei für eine neue Erfahrung. Es kam gewissermaßen zu einem Paradigmenwechsel. Nun ja, da wir ein romantisches Ideal vor uns haben, möchte ich glauben, dass die Liebe Calafs und Turandots Bestand hat. Hoffen wir es für sie.
Und wird Turandot nach Liùs Tod Schuldgefühle gegen all die getöteten erfolglosen Werber haben?
Lise Lindstrom: Mit Sicherheit. Die Wirkung des Opfers von Liù ist so groß, dass Turandot in kürzester Zeit in ihrem Denken, ihrem Fühlen eine neue Dimension erreicht hat. Das „Was habe ich getan?“ wird sie wohl ihr Leben lang begleiten. Das Elementar-Menschliche an Turandot war – was jedem passieren kann – dieses konsequent verbissene Vorwärtsschreiten in die falsche Richtung, vollkommen missgeleitet, und das so lang, bis es kein Vorwärts mehr gab und sie ihren grundlegenden Irrtum erkennen und kapitulieren musste.
Sind Sie auf der Bühne die Turandot oder spielen Sie die Rolle der Turandot?
Lise Lindstrom: (nach längerem Nachdenken) Ich würde beides mit ja beantworten. Auf der Bühne bin ich Turandot, aber es ist eine konstante, von Moment zu Moment immer wieder neu abzufragende Entscheidung: „Wie würde Turandot diese Frage aufnehmen, wie würde sie antworten, wie würde sie reagieren?“
Im Zusammenhang mit der Salome sprachen Sie davon, dass eine Stimme wie mit Silberfäden verbrämt erforderlich ist, wie sieht es diesbezüglich bei der Turandot aus?
Lise Lindstrom: Hier ist es weniger Silber als Stahl: Härter, aggressiver, schneidender. Andererseits muss auch eine Weichhit intendiert sein, Turandot ist keine Brüllpartie, auch das Feminine muss ausbrechen und zu seinem Recht kommen!
Mit Ausnahme von Turandot singen Sie sonst eher Deutsches Fach – warum nicht mehr Italienisches?
Lise Lindstrom: Ich würde sooo gern mehr italienische Opern singen, ich versuche ständig andere zu überzeugen mir italienische Rollen zu geben. (lacht) Leider wird man in unserem Beruf schnell schubladisiert – hat man mit einer Rolle Erfolg, bekommt man ständig Angebote für ebendiese Partie. Obwohl ich glücklich bin mit den Rollen, die ich im Moment singe, möchte ich gern mein Repertoire um ein paar Verdis und Puccinis vergrößern.
Wann haben Sie gemerkt, dass sie für die Bühne geboren sind?
Lise Lindstrom: Ich erinnere mich nicht, es je anders empfunden zu haben. Theater war immer Teil meines Lebens. Meine Mutter war eine Regisseurin, und ich bin mit sieben, acht ins Theater gegangen und habe auf sie gewartet, bis sie mit ihrer Arbeit fertig war. Inszenieren wollte ich allerdings nicht, vielmehr eingebunden sein in die Magie des Theaters, eingebunden sein in den Augenblick des künstlerischen Schaffens und Schöpfens einer anderen Welt – und das auf der Bühne. Ich liebe auch das Davor, das Vorbereiten, das Proben … aber das Eigentliche an meinem Beruf ist dieser emotional aufgeladene, ephemere Hochseilakt.
Giacomo Puccini:
Turandot
Premiere: 28. April 2016
Reprisen: 1., 5., 8., 12. Mai 2016
Einführungsmatinee am Sonntag, 17. April 2016