Eine Zeitreise entlang der Direktoren 1869-2019
FRANZ VON DINGELSTEDT
Mit Don Giovanni – auf Deutsch gesungen und Don Juan genannt – begann die künstlerische Geschichte des Opernhauses am Ring. Der erste Direktor des neuen Hauses war gleichzeitig der letzte Direktor des alten Hauses, des unbequemen, aber geschichtsträchtigen Kärntnertortheaters, das nur wenige Schritte vom Neubau entfernt stand. Dingelstedt, in Deutschland geboren, verfasste zur Eröffnung einen Festprolog, den Charlotte Wolter sprach: dass sie eine deutsche, schwarzrot-gelbe Fahne schwenken sollte, war der Zensur naheliegender Weise zu viel. Also wurde der rote Streifen kurzerhand herausgeschnitten, sodass eine schwarz-gelbe, habsburgische Fahne übrigblieb. Dingelstedt blieb nicht lange Operndirektor: bereits 1870 wechselte er als Direktor ans Burgtheater.
JOHANN VON HERBECK
Herbeck, in Wien ein überaus beliebter Dirigent und erfolgloser Komponist, war ein vielbeschäftigter Musiker, er leitete u.a. den Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde, war 1. Hofkapellmeister: Ein „Dirigentengenie“ nannte ihn der Kritikerpapst Eduard Hanslick. Herbecks Liebe galt Bruckner und Wagner, in die Musikgeschichte ist er als Entdecker des Autographen von Schuberts Unvollendeter eingegangen. Weniger Glück war ihm als Direktor der Hofoper beschieden: eine unerklärliche Angst vor der Bürokratie hemmte sein Wirken. Die Bilanz seiner Direktionszeit kann sich dennoch sehen lassen: Imposante Produktionen wie Aida, Rienzi oder Oberon standen am Spielplan – wie auch die Uraufführung von Goldmarks Die Königin von Saba, die für Furore sorgte. Letztlich scheiterte die „Künstlernatur“ Herbeck am Geld: der Börsenkrach von 1873 hatte finanzielle Herausforderungen gebracht, die der Direktor nicht zu bewältigen verstand.
FRANZ VON JAUNER
Der nächste Direktor, Franz Jauner, hatte den Theaterberuf „von der Pike“ auf gelernt. Als Schauspieler und Regisseur war er seit seiner Jugend ebenso zu erleben wie später als höchst erfolgreicher Direktor des Wiener Carl-Theaters. Im Mai 1875 trat er als Hofopern-Direktor an, im Juni konnte er bereits eine Sensation anbieten: Verdi leitete sein Requiem und seine Aida. Noch bedeutsamer war, dass es ihm gelang, Wagner, der dem Haus aufgrund eines Tantiemenstreits grollte, zu befrieden. Wagner kam, inszenierte 1875 Lohengrin und Tannhäuser und dirigierte 1876 Lohengrin. Jauner sicherte sich auch die Rechte an Tristan und Isolde (ein Werk, das er nie spielte) und jene am Ring des Nibelungen: Dass der Ring in Wien gespielt werden durfte, hatte allerdings nicht nur mit Geld, sondern auch mit Wagners Wünschen an die Hofoper zu tun: Der Komponist wollte Sänger aus Wien für die Bayreuther Festspiele, im Gegenzug forderte Jauner Aufführungsrechte für Wien. Ein weiterer Clou Jauners war die Wiener Erstaufführung der Carmen, die von Wien aus ihren internationalen Triumphzug antrat und der erste Ball – Hofopern- Soirée genannt – im Haus am Ring.
WILHELM JAHN
Nach einem kurzen Intermezzo wurde Wilhelm Jahn neuer Direktor. Unter seiner langen Leitung – sie dauerte 17 Jahre und ist somit die zweitlängste in der Geschichte des Hauses – herrschten ruhigere Zeiten im Haus am Ring vor. Das Ballett erhielt eine größere Bedeutung und brachte Außergewöhnliches, wie die noch heute gespielte Puppenfee oder das beeindruckende Excelsior hervor, der erste fast komplette Wagner-Zyklus ging über die Bühne. 1880 spielte das Haus am Ring einen Mozart-Zyklus (mit sieben Mozart-Opern), es gab unter Jahn die Hofopern-Erstaufführungen von Otello, Cavalleria rusticana, Pagliacci, Manon, Hänsel und Gretel, Fledermaus und Die verkaufte Braut – sowie schließlich die Uraufführung von Werther. Legendär war auch Jahns Zusammenarbeit mit dem großen Wagner-Dirigenten Hans Richter. In Jahns Amtszeit wurde der elektrische Strom im Haus eingeführt (1887), gekrönte Häupter wie der Schah von Persien oder der russische Zar besuchten Aufführungen. Im letzten Halbjahr seiner Direktion engagierte Jahn einen Gastdirigenten für Wagners Lohengrin, der sein Nachfolger werden sollte: Gustav Mahler.
GUSTAV MAHLER
Am 11. Mai 1897 leitete Mahler seine euphorisch bejubelte Antrittsvorstellung im Haus am Ring – Wagners Lohengrin. Nur wenig später wurde er zum neuen Leiter des Hauses ernannt. Man kann diese Ernennung als eine Zäsur in der Geschichte der Wiener Oper sehen, wie es sie wahrscheinlich nie wieder gegeben hat. Mahler forderte von allen Beteiligten ein neues Theater, ein Theater ohne Berufung auf falsche Traditionen, ein Theater ohne jede Schlamperei und eine fast heilige Begeisterung für die Sache: der kompromisslose Ausdrucksgehalt des jeweils aufgeführten Werkes musste im Mittelpunkt stehen! Das Zentrum sollte eine künstlerische Wahrheit sein, der sich alles andere unterzuordnen hätte. Dementsprechend brachte er eine Reihe von Werken – besonders von Wagner – strichlos heraus (was ihn aber nicht hinderte, in andere Opern musikalisch einzugreifen). In vielen kleinen und großen Reformen, etwa der Tieferlegung des Orchestergrabens, des Verbots der Claque, des Verbots des Einlassens von Zu-Spät-Kommenden, vor allem aber im Hinblick auf eine musikalische und ästhetische Neuausrichtung, formte er einen Vorzeigebetrieb, der noch zu Lebzeiten zur Legende wurde. Sein Mitstreiter war der geniale Bühnenbildner Alfred Roller. Mahler brachte Novitäten (wie Contes d’Hoffmann, Eugen Onegin, Pique Dame, Madama Butterfly, La Bohème, Corregidor, Lakmé), einen neuen Mozart-Stil und eine neue Art der Inszenierung. Sein Wunsch, die Salome zu spielen, wurde von der kaiserlichen Zensur verboten. Doch er hatte in Wien auch Feinde, deren beständige Intrigen ihn schließlich, 1907, nach zehn Jahren härtester Arbeit, zur Demissionierung brachten.
FELIX VON WEINGARTNER
Weingartner, der auch als Komponist wirkte (unter anderem mit einer dreiteiligen Orestie- Opernreihe), war mit dem Hofopernorchester, das sich in seiner Zeit (1908) als Verein der Wiener Philharmoniker konstituierte, auf bestem Fuße und leitete fast zwei Jahrzehnte lang die berühmten Abonnementkonzerte. Als Operndirektor war er weniger erfolgreich, zumal er versuchte, eine Art Anti-Mahler zu werden und viele der Reformen seines Vorgängers rückgängig machte. Dazu kam, dass er ein finanzielles Chaos verursachte. In seiner Direktionszeit wurden u.a. Elektra und Tosca in der Hofoper zum ersten Mal gegeben. Eine bedeutende Reform geht auf ihn zurück: Es war bis dahin üblich, dass der Dirigent in der Oper direkt an der Bühnenrampe bzw. in der Mitte des Grabens stand und mit Blickrichtung Bühne dirigierte. Weingartner änderte die Stellung des Orchesterleiters und rückte ihn an die heutige Position – vor das Orchester. Er kehrte 1935 für etwas mehr als ein Jahr in den Direktionssessel zurück und war 1919-1924 Direktor der Volksoper.
HANS GREGOR
1911 wurde Hans Gregor Direktor des Hauses – man hatte ihn geholt, um resolut für Ordnung zu sorgen und das Haus wirtschaftlich auf Vordermann zu bringen. Gregor, Gründer der Komischen Oper in Berlin, begann als Schauspieler, Regisseur und Theater-Intendant in der deutschen Provinz. Er war ein Theatermacher – und ein Manager, der auf Erfolg und Geld schaute. Er fand an der Hofoper Schlamperei und ein blühendes Freikartenwesen, desolate Verhältnisse und Geldverschwendung – und machte sich, mit wenig Feingefühl, ans Aufräumen. Für die Wiener ein Schock: fühlten sie sich doch von diesem kühlen Manager unverstanden. Seine Bilanz war nicht schlecht: Parsifal, Rosenkavalier, Pelléas et Mélisande, Ariadne auf Naxos, Notre Dame, La fanciulla del West, Jenufa, Das Spielwerk und die Prinzessin: Erst- bzw. Uraufführungen aus der Zeit des unbequemen Mannes mit dem unwirschen Tonfall. Darüber hinaus engagierte er Maria Jeritza und Lotte Lehmann ans Haus und schaffte es, die Wiener Oper über die schwierigen Jahre des 1.Weltkrieges zu bringen.
FRANZ SCHALK / RICHARD STRAUSS
Noch während seiner Direktionszeit wurde Gregor des Amtes enthoben. Franz Schalk übernahm interimistisch, ab 1919 leitete er gemeinsam mit Richard Strauss das Haus: Produktive, aber auch schwierige Jahre, da die Zeit der Monarchie zu Ende gegangen war und die prekäre Situation der Weltwirtschaft ihre deutlichen Spuren hinterließ. Es kam wie so oft: die Freundschaft wie auch die Zusammenarbeit zerbrach, Schalk blieb übrig und wurde alleiniger Direktor des Hauses. Strauss forderte höchste künstlerische Qualität unter Ausblendung des finanziellen Rahmens, er setzte sich – außerhalb – der Wiener Staatsoper für Komponisten wie Alban Berg ein, brachte Korngolds Die tote Stadt, Pfitzners Palestrina, Schrekers Die Gezeichneten und Puccinis Manon Lescaut sowie den Trittico zur Staatsopern-Erstaufführung, spielte Schönbergs Gurrelieder und seine eigene Frau ohne Schatten (Uraufführung 1919). Im Ballettbereich zeigte man unter anderem die Josephs Legende und Schlagobers (Uraufführung 1924). Strauss entwarf die Idee eines Opern-Museums, in dem – wie in einer großen Gemäldegalerie – nur die besten und bewährtesten Werke ausgestellt werden sollten. Die Wiener Staatsoper als experimentelles Uraufführungstheater – damit konnte sich Strauss nicht anfreunden.
CLEMENS KRAUSS
Nach dem Alleingang von Schalk standen zwei mögliche Direktoren zur Wahl: Wilhelm Furtwängler und Clemens Krauss. Man zog ersteren vor, verhandelte den Vertrag, bis er unterschriftsreif war – doch dann ging der Dirigent doch nach Berlin statt nach Wien. Also übernahm Clemens Krauss ab 1929 die Wiener Oper: Ein feinsinniger, gebildeter Künstler, der mit diplomatischem Geschick, aber auch einen Blick auf seine persönliche Karriere das Haus leitete. Dass ihm Richard Strauss den Rücken stärkte, war seiner Berufung hilfreich. Krauss’ Credo lautete Ensemblepolitik, und tatsächlich scharte er prominente Sängerinnen und Sänger eng um sich. In seine Zeit fallen die Staatsopern-Erstaufführung von Verdis Don Carlo und Macbeth, von Bergs Wozzeck sowie die Uraufführung von Lehárs Giuditta. Visionäre Überlegungen, das Ensemble des Hauses auf Tournee quer durch Österreich zu schicken, um allen heimischen Steuerzahlern die Oper nahe zu bringen, konnten nicht verwirklicht werden. 1934 verließ Clemens Krauss Wien und ging in das nationalsozialistische Deutschland, nach Berlin – ein Teil seines Ensembles ging mit ihm. Ihm folgten Weingartner und später Erwin Kerber; Bruno Walter war ab 1936 Künstlerischer Berater der Wiener Staatsoper.
NATIONALSOZIALISMUS UND ZWEITER WELTKRIEG
Nach dem sogenannten „Anschluss“ am 12. März 1938 wurden zahllose Künstler der Wiener Staatsoper verfolgt, vertrieben und ermordet, quer durch das gesamte Haus, durch alle Abteilungen zog sich die unmenschliche Gewalt: von einem Tag auf den anderen durften jüdische Sänger nicht mehr singen, jüdische Mitarbeiter das Haus nicht mehr betreten. Überzeugte Nationalsozialisten, Ideologen und Mitläufer übernahmen Schlüsselpositionen und wurden befördert. Neben all der menschlichen Grausamkeit und Tragik war auch der qualitative Niedergang des Hauses zu verzeichnen: da wichtige Stützen des Ensembles und herausragende Künstler vertrieben wurden, Werke jüdischer Komponisten nicht mehr gespielt werden durften, fehlte es auch an künstlerischer Substanz. Das dunkelste Kapitel der Staatsoperngeschichte war angebrochen. Künstler wie Leopold Reichwein, ein drittrangiger Dirigent und Nationalsozialist der ersten Stunde, rückten vor, fanatische Nationalsozialisten übernahmen das Ruder. Auf dem Spielplan tauchten Werke wie Königsballade, ein Machwerk des NS-Komponisten Rudolf Wille, auf. 1943 wurde Karl Böhm, zumindest ein Mitläufer des Nationalsozialismus, Direktor des Hauses, er sollte es, nach dem Wiederaufbau der Wiener Staatsoper, wieder werden. Am 12. März 1945 wurde die Wiener Staatsoper durch Bombentreffer und einem daraus folgenden Brand zerstört.
In den Jahren zwischen 1945 und 1955 – das Haus am Ring war wie bereits erwähnt in den letzten Kriegstagen zerstört worden – spielte man in den Ausweichquartieren Theater an der Wien und Volksoper, Direktoren waren Alfred Jerger, Franz Salmhofer und Hermann Juch.
KARL BÖHM – HERBERT VON KARJAN
Die Wiedereröffnung des Hauses 1955 fand unter Karl Böhm statt – nach dem ersten Enthusiasmus war bald Kritik an der künstlerischen Qualität sowie an den langen Abwesenheiten des Direktors zu hören. In einem berühmten Interview Karl Löbls am Flughafen Schwechat, in dem Böhm auf seine Auslandsaufenthalte angesprochen wurde, antwortete dieser: „Ich denke nicht daran, meine internationale Karriere der Wiener Staatsoper zu opfern“. Die daraufhin ausbrechenden Proteste führten dazu, dass Böhm wenige Tage später vom Amt des Direktors zurücktrat. Ihm folgte Herbert von Karajan, unter dessen Leitung die Wiener Staatsoper in ein neues Zeitalter eintrat. Karajan kündigte mehr Auftritte internationaler Gastdirigenten an und setzte auf ein Weltensemble: also internationale Sängerinnen und Sänger, die in einer jeweils idealen Besetzung zusammenkamen. Diese Reform wurde durch die Zeiterscheinung der aufkommenden intensiven Reisetätigkeit der Sänger noch verstärkt. Die Kritik eines austauschbaren Startheaters ließ allerdings nicht lange auf sich warten. Mit der Mailänder Scala wurde ein Austausch von Produktionen und Künstlern vereinbart, die Originalsprache bei Opernaufführungen wurde eingeführt, das Verdi-Repertoire verstärkt, Budgets stiegen, gleichzeitig brach im Haus aus den unterschiedlichsten Gründen immer wieder auch Unruhe aus – bekannt die Bohème-Premierenabsage aufgrund des internen Streits rund um den Maestro suggeritore. Doch alles in allem stellte die Ära eine wichtige Öffnung der Wiener Staatsoper dar, die den Zeichen der Zeit entsprach. Neben Karajan wirkten als Ko-Direktoren bzw. als Generalsekretär Egon Seefehlner, Walter Erich Schäfer sowie Egon Hilbert.
EGON HILBERT
Egon Hilbert, der schon als Leiter der Österreichischen Bundestheater erfolgreich gewirkt hatte, hatte als Operndirektor kein einfaches Leben. Er versuchte Karajans Kurs weiterzuführen, gleichzeitig warf man ihm aber vor, diesen aus dem Direktionssessel intrigiert zu haben. Die Presse schoss scharf gegen ihn und es ist kein Wunder, dass er – praktisch zeitgleich mit seiner Abberufung und vor Auslaufen seines Vertrags nach nur vier Jahren – an einem Herzinfarkt verstarb. In seiner Amtszeit brachte die Wiener Staatsoper keine Uraufführungen und keine spektakulären Produktionen heraus, die Öffentlichkeit wünschte sich bald einen charismatischeren Direktor.
HEINRICH REIF-GINTL
Nachfolger Hilberts wurde sein Stellvertreter, Heinrich Reif-Gintl, ein langjähriger Mitarbeiter im Bundestheater-Verband. Er läutete eine Zeit der Beruhigung und des Ausgleichs ein, die nach außen wenig spektakulär wirkte, aber doch zu einer inneren und äußeren Konsolidierung führte. Produktionen wie der Fidelio unter Leonard Bernstein und in der Regie von Otto Schenk – die Produktion ist nach wie vor am Spielplan – kam im Theater an der Wien heraus. Die beeindruckende Breite des Repertoires wurde unter anderem anlässlich der 100-Jahres-Feierlichkeiten unter Beweis gestellt: im Mai 1969 waren im Haus am Ring 23 verschiedene Opern, zwei Ballette und ein Konzert zu erleben.
RUDOLF GAMSJÄGER
Vom nächsten Direktor, Rudolf Gamsjäger, der sehr erfolgreich den Musikverein geleitet hatte und als guter Kenner des Musikbetriebs, wenn auch nicht des Opernbetriebs galt, erhoffte sich die Öffentlichkeit eine Versöhnung mit und Rückholung von Herbert von Karajan ans Opern- Dirigentenpult, die allerdings nicht stattfand, was Gamsjägers Position nachhaltig schwächte. Dass ihm manche geplante Künstlerkonstellationen und Produktionen nicht gelangen – etwa ein Ring des Nibelungen unter Sir Georg Solti – sorgte für weitere Kritik. Auf der anderen Seite brachte er Dirigenten wie Carlos Kleiber und Riccardo Muti ans Haus. Als energischer und durchsetzungskräftiger „Macher“, der wenig auf den Satz: „Das war immer schon so“ gab, kam es des Weiteren immer wieder zu Spannungen mit der Bundestheaterverwaltung. Als man ihm, trotz aller Kritik und Anfeindungen, zuletzt eine Verlängerung seines Vertrags offerierte, schlug er das Angebot aus.
EGON SEEFEHLNER
Gleich zweimal war Egon Seefehlner Direktor der Wiener Staatsoper, einmal von 1976 bis 1982, ein zweites Mal nach der kurzen Direktionszeit Lorin Maazels. Seefehlner gelang es, Karajan endlich ans Haus am Ring zurückzuholen und einen Ausgleich zwischen großen Namen und einem guten Ensemble zu finden. Augenfällig ist die enorme Öffnung der Wiener Staatsoper, die in seiner Direktionszeit stattfand: Internationale Tourneen (erstes Japan-Gastspiel!), große TV-Übertragungen, erste Ansätze von Jugendprojekten (mit Menottis Kurzopern), die (Wieder-)Einführung der Einführungsmatineen vor Premieren mit Marcel Prawy, die Tourneen durch die Bundesländer – all das trug dazu bei, das Haus am Ring einem breiteren Publikum zu öffnen. Seefehlner weitete das Repertoire stark aus, so erklang zum Beispiel als seine Eröffnungspremiere erstmals im Haus Les Troyens, vor allem aber etablierte er den Belcanto-Bereich. Manch heute Selbstverständliches wie der Liebestrank war lange nicht mehr an der Wiener Staatsoper gespielt worden. Sein Credo lautete: Statt einer nicht unbedingt notwendigen Neuinszenierung lieber ein gänzlich neues Stück auf den Spielplan bringen. Dass seine Zeit von Sparpaketen und knappen Budgets gezeichnet war, konnte seinen Elan und seine Freude an der Oper nicht dämpfen.
LORIN MAAZEL
Unglücklicher war die kurze Direktionszeit Lorin Maazels: Er versuchte unter anderem ein Blocksystem einzuführen, also einzelne Stücke knapp hintereinander in derselben Besetzung zu spielen. Für damalige Wiener Verhältnisse ein rotes Tuch, von den Medien angefeindet warf er nach anderthalb Jahren das Handtuch. Dass Maazel mit Planungsschwierigkeiten zu kämpfen hatte, die Moderne vernachlässigte und sich mit dem herrschenden Staatsopern-Betrieb nicht anfreunden konnte, sorgte in der Öffentlichkeit für weitere Kritik. 1998 kehrte er als Konzert-Dirigent an die Wiener Oper zurück, knapp vor seinem Tod wurde er Ehrenmitglied des Hauses.
CLAUS HELMUT DRESE
Nicht viel glücklicher die Direktion von Claus Helmut Drese. Gemeinsam mit Claudio Abbado konnte er zwar einen spannenden Spielplan (auch mit Raritäten) entwerfen, doch scheiterte er an den finanziellen Rahmenbedingungen. Schnell überzog er sein Budget, um in der Folge Einsparungen vornehmen zu müssen, die seinem ursprünglichen Spielplankonzept entgegenstanden. Christian Thielemann, Franz Welser-Möst, Seiji Ozawa waren wichtige Dirigenten-Debütanten in seiner Direktionszeit, manch legendäre Produktion wie Rossinis Il viaggio a Reims, die großformatig vom Fernsehen übertragen wurde, blieben im Gedächtnis.
IOAN HOLENDER
Zu Beginn der 1990er-Jahre wurde der ehemalige Bariton Eberhard Waechter, zu jenem Zeitpunkt Direktor der Volksoper, zum neuen Staatsopern-Direktor bestellt. Nach seinem tragischen Tod im März 1992 übernahm sein Generalsekretär, Ioan Holender, ein ehemaliger Sänger und Inhaber einer berühmten Sängeragentur, das Direktionsamt. In seiner Amtszeit nahmen eine große Anzahl an bedeutenden Karrieren von Sängern im Haus am Ring ihren Anfang, der Aufbau eines herausragenden Ensembles, verbunden mit der systematischen Ausweitung des Repertoires zeichnet diese Direktionszeit – die längste in der Geschichte der Wiener Staatsoper – aus. Zwischen 1991 und 2010 wurden vier Uraufführungen (Gesualdo, Medea, Der Riese vom Steinfeld, Die Wände), 16 Erstaufführungen, zwei Kinderopern-Uraufführungen herausgebracht. Um auch die Theaterbedürfnisse von Kindern ernst zu nehmen, wurde auf der Dachterrasse der Wiener Staatsoper 1999 ein Kinderopernzelt errichtet. Dazu kommen Aus- und Zubauten im Gebäude, Adaptierungen und Modernisierungen im Bereich der Bühnentechnik und der Probensäle. Im Jahr 2002 berief Ioan Holender Seiji Ozawa zum Musikdirektor der Wiener Staatsoper. Die Installation einer zweisprachigen Übersetzungsanlage, die Errichtung der Opernschule für Kinder, die Einführung Zauberflöten für Kinder-Vorstellungen am Tag nach dem Opernball, die Aufarbeitung der Jahre 1938-1945 der Wiener Staatsoper gehören zu weiteren Schwerpunkten dieser Amtszeit. Das Projekt Oper live am Platz (Übertragungen von Vorstellungen auf den Karajan-Platz), die neue Außenbeleuchtung des Hauses, die jährlich wechselnde Überhängung des Eisernen Vorhangs durch großformatige Kunstwerke, weiters die Aufhebung des de facto-Verbots der Aufnahme von Musikerinnen in das Staatsopernorchester waren zusätzliche Wegmarken.
DOMINIQUE MEYER
Dominique Meyer, der vor seiner Wiener Zeit unter anderem in der Politik gewirkt hatte, leitete eine Reihe unterschiedlicher Theater, so wurde ihm 1989 etwa die Eröffnung der Pariser Opéra Bastille übertragen, lange Jahre stand er an der Spitze des Théâtre des Champs-Elysées. Er trat mit Franz Welser-Möst als GMD (bis 2014) und Manuel Legris als Ballett-Direktor an. Von Anfang an verbesserte er die Proben- und Aufführungsbedingungen, unter anderem durch eine neue, große Probebühne und systematische Überarbeitungen von bestehenden Produktionen. – So brachte er Otto Schenk für mehrere Einstudierungen und eine Neuproduktion zurück ans Haus. Meyers Augenmerk liegt auch auf dem Ballett, das in seiner Direktion an (internationalem) Renommée gewann. Wirtschaftlicher Erfolg ist für seine Direktion ebenso charakteristisch wie der Ausbau des Ensembles, deren junge Mitglieder er oftmals bei internationalen Wettbewerben, an denen er als Juror teilnimmt, entdeckt. Auch seine Direktion ist geprägt von zahlreichen Erstaufführungen sowie zwei Uraufführungen und mehreren Kinderopern-Uraufführungen; die Barockoper kehrte erfolgreich ans Haus zurück. Da das Kinderopernzelt auf behördliche Anweisung abgebaut werden musste, suchte und fand er eine neue Spielstätte für die Kinderoper: die AGRANA STUDIOBÜHNE WALFISCHGASSE. Wesentlich war auch die umfassende Restaurierung des Vestibüls, des Schwind-Foyers wie der Schwindloggia. Darüber hinaus ließ er ein Streaming-Projekt entwickeln, das Opern- und Ballettaufführungen aus dem Haus am Ring (bis zu 50 pro Spielzeit) via Internet international live überträgt. Zusätzliche Projekte wie die Installation der nächsten Generation von Untertitel-Schirmen mit acht Sprachen, sonntägliche Ensemble-Matineekonzerte im Mahler-Saal oder ein Kammermusik-Zyklus der Wiener Philharmoniker runden seine Bilanz ab.