© Peter Mayr
Regisseur Calixto Bieito

Ein Traumgedicht

Informationen & Karten »Tristan und Isolde«

Beginnen wir mit dem Wasser, das unsere Bühne füllt. Wasser bietet so viele Assoziationsmöglichkeiten an – die »ozeanische Weite« versinnbildlicht Perspektiven, zugleich steht das Meer für die Unkontrollierbarkeit der Natur, etwas Bedrohliches. In Freuds Traumdeutung ist Wasser häufig mit Fruchtbarkeit konnotiert. Was waren die Gedanken, die Rebecca Ringst und dich zu der Entscheidung gebracht haben, die Bühne zunächst als Wasserfläche zu konzipieren?

CALIXTO BIEITO Niels Bohr sagte, dass »ein Teil der Ewigkeit in Reichweite derer liegt, die in der Lage sind, die schwindelerregende Weite des Meeres zu betrachten, ohne die Augen zu schließen«. Das ist ein sehr schöner Satz, aber Rebecca und ich wollten über das innere Meer sprechen, über das »Unterwasser«, das wir Menschen haben, um auf den Hintergrund der Figuren verweisen. Das Wasser auf der Bühne soll helfen, diesen Hintergrund zu denken, und es bietet den Zuschauerinnen und Zuschauern Raum für Assoziationen wie die, die du beschreibst.

Wagner sandte eine Zusammenfassung seiner Oper an Mathilde von Wesendonck, in der er vor allem beschreibt, was Tristan und Isolde in ihrem Duett im zweiten Akt erleben: Sehnsucht, sich ineinander verlieren, sich ineinander auflösen. Er stellt damit sein Werk als ein Manifest der romantischen Liebe dar, einschließlich ihrer Nähe zur Nacht, zum Tod. Was assoziierst du mit der romantischen Liebesvorstellung?

CB Romantische Liebe hat, wenn wir bis ins Mittelalter zurückgehen, wenig mit dem zu tun, was Wagner entwirft. In meinem Verständnis der romantischen Epoche ist es eine Liebe, die die Menschen, die sie leben, an einen Punkt bringt, an dem der Tod keine Rolle mehr spielt. Außerdem ist es eine Liebe, die ständig von der Entfernung, der Unmöglichkeit und dem Warten genährt wird. Es ist der Widerspruch zwischen sexuellem Begehren und der Moral einer monogamen Gesellschaft, die die Verwirklichung die- ser Anziehung verhindert. Denn das hieße: immer weiter, weiter und weiter, bis die Körper im Tod verschmelzen. Der Tod ist Teil dieser Liebe. Es ist eine zärtliche, gewalttätige, wütende, viszerale Liebe, bei der es kein Zurück mehr gibt. Die Mauern müssen niedergerissen werden.

Sprechen wir darüber, wo die Liebe herkommt. »Mir erkoren, mir verloren«, sagt Isolde im ersten Akt über Tristan. Wenn sie von dieser Art von »Erwähltheit« spricht, kann Schicksal gemeint sein, es kann aber auch ihre eigene, selbstbestimmte Wahl für Tristan bedeuten. Was ist deine Interpretation? Was hältst du von der Idee einer schicksalshaften Vorsehung?

CB Das würde einen langen Vortrag erfordern, aber in meiner Vorstellung ist das Ziel der endgültige Ort, an den wir gelangen werden. Niemand kann mit Sicherheit wissen, was sein oder ihr Schicksal ist. Aber die Frage ist: Inwieweit sind wir Herr über unser Schicksal? Wie beeinflusst unser Schicksal unser Leben, unser Handeln und unser Umfeld? Tristan und Isolde konstru- ieren bewusst und unbewusst ihre letzte Reise. Der Tod ist Teil ihrer Art zu lieben, er ist ein Akt der Liebe. Es hat in der Geschichte viele, viele Beispiele gegeben, wo Tod und Liebe zusammenkommen und die Angst verschwindet, weil die Liebe so groß ist. Wie viele Paare haben sich aus unterschiedlichen Gründen gewünscht, gemeinsam zu sterben?

Die Todesmetaphern sind allerdings so vielschichtig, dass man sich fragt, ob man sie nicht auch anders verstehen könnte. Welten-entronnen, Welt-entrücken, das Sehnen hin zur ewigen Nacht, wo ur-ewig, einzig wahre Liebeswonne ihm lacht – wäre es denkbar, die Todesmetaphern als den Wunsch der Liebenden zu verstehen, sich der Welt, der Gesellschaft zu entziehen, um sich nur aufeinander zu konzentrieren?

CB Man könnte das schon so interpretieren, aber ich denke, in Tristan und Isolde sind die Liebe, der Schmerz und die Sehnsucht so groß, dass der Todes- und Liebeswunsch in eins fallen.

Gottfried von Straßburgs Versroman Tristan, der Wagner als Vorlage diente, ist voll von Geschichten. Entlang der Erzählungen über Liebe und Betrug erfahren wir viel über die Figuren, über Isoldes Wut, Tristans Listen, Markes Eifersucht. Wagner verwendet die meisten Erzählungen nicht, und er hat für seine Charaktere, wie wir bereits besprochen haben, eine ganz eigene Agenda. Du hast dir wiederum eigene Geschichten, eine eigene Atmosphäre für die Figuren der Oper ausgedacht.

CB Es war für mich sehr interessant, den Roman von Gottfried von Straßburg zu lesen. Aber es sind nicht die mittelalterlichen oder pseudomittelalterlichen oder abstrakten Figuren, die mich interessieren. Ich glaube, Wagner nannte seine Opern »Musikdramen oder Gedichte«. Ich denke, wir arbeiten in Richtung eines mu- sikalischen Gedichts. Wo eine kleine Gemeinschaft, verloren im Nebel, in der Nacht, in der Dunkelheit, versucht, weiterzumachen, weiterzumachen, weiterzumachen. Die von Wagner geschaffene Sprache hilft mir, einen Raum des Rätsels zu schaffen, in dem die Figuren träumen, denken und wieder träumen und wir hinter diesen Worten die Sehnsüchte, die Wünsche entdecken können. Ein schönes Traumgedicht.

Ein Traumgedicht – das erinnert an verschiedene Assoziationen aus der bildenden Kunst, vor allem der surrealistischen Kunst, die du während der Proben öfter angesprochen hast.

CB Ich liebe die letzten Gemälde von Goya und die Filme von Buñuel, den katalanischen Surrealismus. Mit all dem bin ich aufgewachsen. Es bedeutet für mich auch: Kunst ist eine Möglichkeit, Träume auszudrücken, die intimsten Wünsche, das Unbewusste, das Wasser, das in uns allen steckt und in dem alles möglich ist. Kunst. Liebe. Hass. Tod.

Noch einmal zu den Figuren in der Oper. Isolde ist wohl der stärkste Charakter – sie revoltiert gegen die Ehe, die für sie vorgesehen ist, sie gibt Tristan nicht auf, fordert ihn auch heraus.

CB Isolde ist eine unheimlich starke Figur, voller Liebe und Wut – fähig, Grenzen zu überschreiten, fähig, sich auf niemanden zu verlassen. Fähig zu vollem Engagement für das, was ihr wichtig ist. Die Energie unserer Premieren-Isolde Martina Serafin hat mich sehr inspiriert.

Tristan, der Held, wirkt in der Inszenierung wie ein gebrochener Mann. Woher kommt dieser Zugriff?

CB Bei der Figur, die Andreas Schager gestaltet hat, können wir sogar von einem Antihelden sprechen. Die Helden von heute sind für mich anonym. Tristan ist nicht so stark wie Isolde – er war lange Zeit im Nebel verloren, das ist meine Beschreibung von ihm. Er hat Angst, und das macht ihn zu einem menschlichen Helden.

Auch Brangäne und König Marke bekommen in der Inszenierung ihre ganz eigenen Erzählungen.

CB Ich habe zu Ekaterina Gubanova gesagt, sie soll bei Brangäne an Renata denken, aus Sergej Prokofjews Der feurige Engel. Generell hatte ich ein relativ klares Bild von Brangäne: Sie ist eine besondere, eine einzigartige Person, die am Rande der Gemeinschaft lebt. Sie betreut und bewacht den Leuchtturm an der Küste. König Marke wiederum ist eine Figur, deren stabiler und ausgeglichener Boden in Stücke zerbrochen ist. Er ist verloren, obwohl er sich sein ganzes Leben lang sicher gefühlt hatte. Seine Welt ist in tausend Stücke zerbrochen.

In deinem Probenraum scheint manchmal eine gewisse Magie zu herrschen. Kannst du den kreativen Prozess beschreiben, den du zusammen mit den Sängern beschreitest?

CB Nein. Ich versuche nur, mich gut vorzubereiten, wie ein Schwamm zu sein, der alles aufnimmt, und zusammen mit den Sängerinnen und Sängern die kreative Arbeit zu machen. Wenn ich arbeiten will, schreibe ich einfach schlechte Gedichte, male oder mache Installationen. Genau so. Darauf vertraue ich. Während der Proben versuche ich, kreative Großzügigkeit einzubringen und jede Probe ruhig zu erleben, aber zugleich so, als wäre es die letzte. Du siehst, das Geheimnis ist, dass es kein Geheimnis gibt.

Von Richard Wagner hast du bis auf das Frühwerk fast alles inszeniert, Der Ring des Nibelungen ist nur noch ausständig, weil das Projekt durch die Corona-Pandemie aufgehalten wurde. Was ist deine persönliche Verbindung zu Wagner?

CB Es ist eine Verbindung, die früh begann, als ich 14 oder 15 Jahre alt war. Mein erster Mentor Adan Kovasics hat mir Wilhelm Furtwänglers Aufnahmen gegeben. Ich hörte sie zusammen mit meinem kleinen Bruder. Wir hörten Wagners Opern und wir spielten Helden, wir kämpften, rannten durch das Haus mit den Papierrüstungen und Helmen, die wir uns gebastelt hatten. Manchmal spielten wir auch mit den Ritter- und Cowboy-Puppen, die wir hatten, kleine Spiele zu der Musik. Tristan und Isolde liebe ich. Der Text kann ein Märchen sein, wenn man will; aber wie Shakespeare spricht Wagner eindeutig von seiner Zeit und seinem Leben.
 

Die Fragen stellte Nikolaus Stenitzer