Ein süditalienisches Aschenbrödel
Sie ist ständiger Gast an der New Yorker Met, der Mailänder Scala, dem Londoner Royal Opera House Covent Garden – und auch das Publikum der Wiener Staatsoper kennt die junge süditalienische Mezzosopranistin Serena Malfi seit ihrem hiesigen Debüt als Annio in der Clemenza di Tito- Premiere 2012. Nach einem nachfolgenden Cherubino sang sie hier noch eine Cenerentola-Serie und kehrt nun in ebendieser Rolle zurück ans Haus am Ring. Mit Andreas Láng sprach sie unter anderem über den Lärm ihrer Heimatstadt, das Ego der Künstler und die Italianità Rossinis.
Rossini und Mozart scheinen derzeit Ihre Leibkomponisten zu sein … auf welche Weise kommen die Werke dieser beiden Ihrer Stimme entgegen?
Serena Malfi: Durch intensives Üben! (lacht) Nein, im Ernst, sowohl Rossini als auch Mozart passen einfach zu meinem aktuellen vokalen Entwicklungsstand bevor ich mich dauerhaft in Richtung Bellini, Donizetti und das französische Repertoire aufmache. Das heißt: Ich liebe Mozart und Rossini, habe viel Freude mit ihrer Musik, werde sie aber wohl nicht ewig singen.
Den Romeo in Bellinis Capuleti e i Montecchi haben Sie ja schon verkörpert…
Serena Malfi: Eine wunderbare Erfahrung, eine großartige Musik und soooo schwer! Der Romeo war mein erster Versuch in diesem Gelände, eine komplette andere Musiksprache als die mir bis dahin vertraute. Anders als Rossini handelt es sich bei Bellini ja um wirklichen Belcanto-Gesang, bei der die Stimme zu fließen hat. Es war, wenn Sie so wollen, ein erster Antrittsbesuch.
Und Ihr Madrider Siébel in Faust war ein Antrittsbesuch im französischen Fach?
Serena Malfi: Ich war sehr aufgeregt über die Möglichkeit diese besondere Oper machen zu dürfen. Und wissen Sie, obwohl Siébel nur eine Arie und ein paar Rezitative zu singen hat, habe ich das gesamte Werke genossen, die Musik, den Gesang meiner Kolleginnen und Kollegen…
1822 gab es in Wien ein Rossini-Fieber, kein Komponist vor oder nach ihm wurde hier so gefeiert wie er. Was schätzen Sie an seiner Musik?
Serena Malfi: Innerhalb eines Taktes, einer Phrase darf man bei Rossini mit der Stimme so viele Farben herbeizaubern, wie man nur möchte. Kann mit den Crescendi oder einem Rallentand spielen, Stimmungen wechseln lassen. Ich liebe vermutlich diese Vielseitigkeit. Und in den komischen Opern seinen Humor, seine Leichtfüßigkeit.
In Italien wurde Rossini zu Lebzeiten stilistisch als Deutscher abgestempelt, was sagen Sie als heutige Italienerin dazu?
Serena Malfi: Damals mag das so gewesen sein …vor allem seine formal an der Klassik geschulte Schreibweise, seine zeitweilige Anlehnung an Beethoven – gerade in der Sturmmusik der Cenerentola ist dies deutlich zu spüren – ließen dieses Urteil entstehen. Aber ich denke, dass heute jeder in Rossini den italienischen Komponisten par excellence sieht. Typischer geht es gar nicht!
Wie würden Sie folgenden Satz beenden: „Für mich ist Singen…“
Serena Malfi: „… eine Notwendigkeit.“
Sie haben sowohl Rosina als auch Angelina oft gesungen – wo liegt der Unterschied zwischen diesen beiden Rossini’schen Charakteren?
Serena Malfi: Obwohl beide unterdrückt sind – die eine vom Vormund, die andere vom Stiefvater und den beiden Stiefschwestern – weichen die Persönlichkeiten dieser jungen Frauen sehr deutlich voneinander ab: Rosina ist ausgefuchst, sehr quirlig, eine, die ihr Schicksal durchaus selber in die Hand nimmt. Cenerentola hingegen ist romantisch veranlagt, lässt sich wegsperren und wartet auf den Märchenprinzen…
… der dann tatsächlich kommt!
Serena Malfi: Ja, aber bevor sie ihn endlich für sich alleine hat, muss sie noch eine lange und schwere Final-Arie singen. Auch darin unterscheidet sie sich von Rosina… die hat ihre Arien schon zu Beginn bzw. am Beginn des zweiten Aktes. Aber am Ende der Oper, nachdem man einige Stunden lang zu tun gehabt hat, eine so eine lange und herausfordernde Sache meistern zu müssen…
Im Barbier muss der Tenor dieselbe Arie ebenfalls am Ende der Oper singen…
Serena Malfi: Und ich leide mit meinen armen Kollegen mit, drücke ihnen, was heißt drücken, presse ihnen die Daumen und versuche meine gesamte Energie zu übermitteln (lacht). Auf jeden Fall weiß ich, wie sie sich in dem Moment fühlen.
Sammeln Sie Ihre Auftritte? Dame Gwyneth Jones zum Beispiel führte diesbezüglich sehr genau Buch.
Serena Malfi: Also, sammeln ist der falsche Ausdruck und ich strebe auch keine quantitativen Rekorde an. Aber ich hebe die Programme auf, notiere mir, mit welchen Kollegen ich auf der Bühne war und lege vielleicht ein Foto der Inszenierung dazu – einfach so, als Erinnerung.
Viele große Komponisten – etwa Wagner, Strauss, Mahler – waren zumindest ausgeprägte Egozentriker, wenn nicht sogar Egoisten. Inwiefern ist dieser Wesenszug für einen Künstler notwendig?
Serena Malfi: Ohne großes Ego geht in unserem Beruf sicher nichts. Ein Sänger muss zum Beispiel regelmäßig auf die Bühne, hinaus vor tausende Zuschauer – und einige Kritiker. Das ist nicht ohne. Aber so wie bei vielen Dingen gilt auch beim Ego – zu viel ist ungesund!
Stellen Sie sich manchmal vor, dass der Komponist des gerade von Ihnen aufgeführten Werkes im Zuschauerraum sitzt und Sie ihm vorführen, wie man ihn heute interpretiert?
Serena Malfi: Ein Alptraum!! Mir wäre lieber, ich könnte ihn treffen, um ihm einige – oder besser – viele Fragen zu stellen.
Wen würden Sie am liebsten treffen?
Serena Malfi: Ganz klar: Mozart.
Gibt es einen Moment wenn Sie die Bühne betreten, an dem sie spüren: Ab jetzt bin ich mit dem Publikum verbunden?
Serena Malfi: Eigentlich denke ich zunächst immer: „Warum um Himmels Willen machst Du das nur?!“ (lacht) Aber irgendwann hilft einem die Musik, ein Applaus, das Lachen einiger Zuschauer – bei komischen Opern – und man ist „drinnen.“ Ich liebe ja letztlich jeden Schritt in diesem langen Prozess vom Beginn eines Rollenstudiums über die Proben, die Aufführung bis zum Schlussapplaus. Jeder einzelne Aspekt macht einen reicher.
Ist eine Sie umgebende komplette Stille ein erholsamer, ausgleichender Moment im stets hektischen Opernbusiness?
Serena Malfi: Ich lebe hier in Neapel, da hört man an allen Ecken und Enden, in jeder Ritze, Musik, Schreie, Gejohle, den Lärm des tagtäglichen Treibens auf den Straßen. Und soll ich Ihnen etwas verraten? Ich liebe genau das! Diesen Reichtum an Farben, diesen Reichtum an Leben. Manchmal scheint mir, als ob ich das alles in mir trüge und immer das aus dieser üppigen Pracht schöpfen darf, was im Moment auf der Bühne gefragt ist.
La cenerentola | Gioachino Rossini
25., 27., 30. November 2018