Susanna Mälkki

Dirigieren im Kontinuum

Die Finnin Susanna Mälkki begann ihre Karriere als Cellistin, bevor sie ans Dirigentenpult wechselte. Als Chefin des Ensemble intercontemporain und der Helsinkier Philharmoniker sowie bei zahlreichen internationalen Gastdirigaten (z.B. der Berliner und Münchner Philharmoniker oder des Concertgebouw-Orchesters) machte sie sich einen Namen. Als Operndirigentin war sie zuletzt an der New Yorker Met zu erleben. Nun ist sie bei der Premiere von Dantons Tod erstmals im Haus am Ring zu hören. 

Partitur oder historische Aufnahme: Wie lief Ihr erster Kontakt zu Dantons Tod ab? 

Susanna Mälkki: Mein Zugang war gewissermaßen dreifach: Als allererstes habe ich mir eine Reihe von Aufnahmen angehört und dann natürlich gleich die Partitur hinzugezogen. Vor allem war mir aber auch wichtig, das originale Stück von Büchner zu lesen: denn aus der Tatsache, welche Teile des Dramas in die Oper übernommen wurden, wie mit den Charakteren gearbeitet wurde, aus dem Vergleich der Schlüsselszenen und Schwerpunkte kann man sehr viel über Einems Sicht lernen. Mir war es wichtig, neben der Musik gleich zu Beginn den Text als Basis zu sehen und zu analysieren. Interessant finde ich in diesem Zusammenhang auch die Frage: An welchen Stellen war der Komponist freigiebig, was die investierte Zeit betrifft? Wo hatte er das Gefühl, dass man nicht sparen darf? Und wo hat er sich kurz gefasst? 

Gab es einen bestimmenden ersten Eindruck? Einen ersten Gedanken? 

Susanna Mälkki: Es ist augenfällig, dass Einem ein sogenannter „denkender“ Komponist ist. Der erste Eindruck ist aber immer so eine Sache: Es sind viele Dinge, die auf einen zukommen und man kann natürlich nicht ins Detail gehen. Ich hatte beim allerersten Hören keine Partitur vor mir aufgeschlagen, sondern habe tatsächlich nur nach einem ersten Eindruck gesucht. Erst danach nahm ich die Noten und ging mit einem analytischen Blick an die Sache heran. Durch das Studium der Partitur haben sich eine Reihe von Fragen beantwortet, die ich mir beim reinen Hören gestellt habe. Was mir aber gleich aufgefallen ist, war, welchen großen dramaturgischen Sinn Einem hatte. 

Dantons Tod ist die erste Oper von Gottfried von Einem, der damals ungefähr 30 Jahre alt war. Kann man sagen, dass es das Werk eines – relativ – jungen Komponisten ist? 

Susanna Mälkki: Er hat die Oper später ja überarbeitet und einige Striche vorgenommen – das ist auch die Fassung, die wir spielen werden. Diese Striche entspringen den Erfahrungen als Komponist, die er später gemacht hat. Vielleicht erkennt man die Jugendlichkeit des Komponisten am ehesten darin, dass er – gerade an Chor und Orchester – große Herausforderungen stellt. Junge Komponisten schreiben ja mitunter gerne herausfordernd. Wobei man sagen kann, dass Einem an sich sehr virtuos und dicht schreibt, es passiert vieles gleichzeitig. Und der Chor hat eine maßgebliche Funktion – er hat geradezu eine eigene Persönlichkeit. 

Haben Sie zuvor schon einmal von Einem dirigiert? 

Susanna Mälkki: Ich habe ein Orchesterstück geleitet: Wandlungen. Es entstand anlässlich des 200. Geburtstags von Mozart. Mir war wichtig, dieses Werk in Finnland zu spielen, da dort Einem wenig bekannt ist und ich ihn vorstellen wollte. Alles andere von Einem habe ich nicht selber dirigiert, sondern kenne es nur als Zuhörerin. 

Wenn Sie eine Parallele finden wollten – welcher Komponist würde Ihnen einfallen? 

Susanna Mälkki: Da von Einem viele Stilzitate verwendet, könnte man ihn als Neoklassizisten sehen. Das ist aber nicht die ganze Wahrheit, da seine Musik viele andere Stimmungen und Farben enthält. Natürlich, man kann feststellen,  dass Einem einer jener Komponisten ist, die sehr intensiv vom Text ausgehen. Das betrifft natürlich andere auch, aber bei ihm hat es eine besondere Qualität. Über die textliche Quelle gibt es selbstverständlich eine Verbindung zu der anderen großen Büchner-Oper Wozzeck. Aber vergleichen kann man beide dennoch nicht. Bis auf die Tatsache, dass sie beide eine formal strukturierte Oper geschrieben haben – aber natürlich in einer harmonisch anderen Welt. Einems Vokabular ist zu großen Teilen klassisch, aber ich glaube, dass es in Bezug auf die Zeit und die Gesellschaft, die er beschrieb, steht. 

Oder anders gefragt: Was ist das besonders Einem-hafte in Dantons Tod? 

Susanna Mälkki: Die Stilistik beziehungsweise wie Einem mit unterschiedlichen Stilen umgeht. Er war sich über das, was wir Stil nennen, sehr bewusst und hat ihn als kompositorisches Gestaltungselement gesehen. Denn Einem verwendet nicht nur einen Stil, sondern gleich ein ganzes Set. In dieser Oper etwa bringt er mitunter einen französischen Ton ein, um dann wieder ganz dramatisch und abstrakt zu werden. Er mischt das aber nicht, um nur Abwechslung zu erzeugen, sondern es ist für die Entwicklung des Dramas wichtig. Am Ende etwa erlebt man eine absurde Farbe, nach all dem Morden kommt ein neuer Tag, an dem Köpfe rollen werden – und Einem bringt dennoch eine eher leichte Musiksprache. Warum? Weil diese Leichtigkeit etwas über die Mentalität der Menschen aussagt, darüber, wie ein Menschenleben gering geschätzt wird. Man sieht also, dass Einem seine Musik mit großer Kenntnis und einem enormen handwerklichen Können einsetzt, nicht um des Handwerks willen, sondern um etwas auszudrücken. 

Sie sprachen vom guten Dramaturgen Einem. Ist er auch ein an sich theatral denkender Komponist? 

Susanna Mälkki: Unbedingt! Sein Danton ist ein Theaterstück im besten Sinne des Wortes. Er hat einfach ein Gespür für Wirkungen und Ursachen, für das Theater an sich. Und die Musik fügt dem Text eine weitere Ebene hinzu und erweitert die Dimension des Stücks. 

Als Dirigentin, die viel zeitgenössische Musik leitet, ist Ihnen der Kontakt und Diskurs mit den Komponisten vertraut. Versuchen Sie diesen Kontakt gewissermaßen über Schriften und frühe Aufnahmen Einems zu gewinnen? 

Susanna Mälkki: Im speziellen Fall ist es ja so, dass es eine Aufnahme der Uraufführungsproduktion – unter dem Dirigenten Ferenc Fricsay – gibt. Diese hat schon einige Relevanz, denn Fricsay stand mit Einem in Kontakt und seine Tempi sind damit aus erster Hand. Und gerade in Tempofragen gibt es oftmals Diskussionen mit Komponisten. Vergleicht man diese Uraufführungsaufnahme mit späteren Mitschnitten der Oper, merkt man schon einige Unterschiede. Insofern bin ich sehr froh, dass wir ein Zeitdokument besitzen, an dem wir uns in einem gewissen Maße orientieren können. 

Obgleich Sie viel klassische Moderne und Zeitgenössisches dirigieren, erstreckt sich Ihr Repertoire auch weit in die Geschichte der Musik. Hat sich diese Breite einfach ergeben oder war es Ihr Wunsch, so vieles nebeneinander zu erleben? 

Susanna Mälkki: Zweiteres. Meine Musikausbildung deckt ja die gesamte Musikgeschichte ab und ich meine, dass Musik ein Kontinuum ist. Wir bauen auf Geschichte auf. Wie könnte ich Zeitgenössisches machen, ohne zu wissen, wo es herkommt? Ohne zu wissen, was vor 100 oder 200 Jahren geschrieben wurde? Musik ist unteilbar. Das ist das Prinzip, an dem ich mich immer ausgerichtet habe: Altes und Aktuelles nebeneinander! 

Oliver Láng  


Gottfried von Einem 
Dantons Tod

Premiere: 24. März 2018 
Reprisen: 27., 31. März, 3., 6., 9. April 2018 

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