© David Jerusalem (Schager) / Gino Di Paolo (Serafin)

Die Wahrhaftigkeit des Moments

Informationen und Karten »Tristan und Isolde«


Zu Beginn ein kurzer Rückblick: Wie sah euer Wagner-Weg, eure Wagner-Erfahrung vor Tristan und Isolde aus?

SERAFIN Zunächst Elsa in Essen unter Stefan Soltesz und Sieglinde in Zürich unter Philippe Jordan – beide Partien durfte ich danach in vielen wunderbaren Häusern singen, später kam noch die Tannhäuser-Elisabeth dazu und schließlich die Walküren-Brünnhilde in Amsterdam und Paris. Unter Philippe Jordan hatten wir mit Andreas auch noch einen 1. Akt Walküre in Bregenz gemacht. Das war nach etlichen Jahren unser erstes gemeinsames Projekt auf einer Bühne – wir waren beide richtig erfreut darüber, wie sehr sich der jeweils andere entwickelt hatte. (lacht)

SCHAGER Ich hatte als David bei den Tiroler Festspielen in Erl meinen Wagner-Weg begonnen, Schauspieler glaubt, mit einer Rolle eins zu sein, müsse man ihn austauschen.

SERAFIN Man darf nie der Gefahr erliegen, sich während einer Vorstellung von den Wellen der Musik davontragen zu lassen. Und gerade der Tristan bietet viele solche Augenblicke. Wir sind Interpretinnen und Interpreten und möchten, dass bei einer Aufführung die Zuseher genießen. 


Nach einer Carmen-Produktion wird Calixto Bieito sich dem Wiener Publikum nun mit einem neuen Tristan vorstellen. Die Proben mit ihm scheinen von einer allgemeinen Euphorie getragen zu sein.

SERAFIN Ich arbeite das erste Mal mit ihm zusammen und bin tatsächlich begeistert. Selten habe ich einen Regisseur erlebt, der die Tiefen und »Es sind die wahren, ehrlichen Gefühle, die Bieito einfordert und aus uns herausarbeitet.« es folgte der Steuermann und dann kam schon das Vorsingen für den Rienzi in Meiningen. Im Jahr 2012 ging es dann schließlich Schlag auf Schlag: Innerhalb kürzester Zeit durfte ich mit den drei ganz großen Rollen debütieren: den beiden Siegfrieden und dem Tristan! Letzteren hatte ich geradezu in Windeseile einstudiert.


Und nun zu Tristan und Isolde: Seid ihr in diesem Werk schon gemeinsam auf der Bühne gestanden?

SERAFIN Ja, in Paris unter Philippe Jordan, ebenfalls mit René Pape als Marke und Ekaterina Gubanova als Brangäne – also fast dieselbe Besetzung wie jetzt in Wien.


Nun betonen viele namhafte Pultgrößen, dass sie Tristan und Isolde nicht unentwegt dirigieren wollen, weil sie dann Gefahr laufen, auszubrennen und dem Stück nicht mehr gerecht zu werden. Gilt das auch für die Sängerinnen und Sänger?

SCHAGER Ums Ausbrennen geht es bei uns weniger, aber eine innere Distanz halten – das ist schon notwendig. Es gibt von Max Reinhardt einen Ausspruch, der sinngemäß folgendermaßen lautet: In dem Moment, in dem ein Weiten der menschlichen Emotionen so plastisch auf die Bühne bringt und lebendig werden lässt, wie er.

SCHAGER Das Wunderbare an dieser Inszenierung ist beispielsweise die durchgehende Greifbarkeit unserer Liebe. Sie wird für das Publikum unmittelbar erfahrbar.

SERAFIN Das heißt natürlich nicht, dass Tristan und Isolde immer nahe beieinander sind, sich womöglich andauernd berühren oder umarmen. Es geht vielmehr um das optimale Vermitteln von jenen Gefühlen, mit denen wir unsere Charaktere aufladen.

SCHAGER Das kann allerdings sehr wohl zu einer körperlichen Nähe führen, wenn auch nur zu einer scheinbaren: Während des langen Tantris-Monologs von Isolde im ersten Aufzug wird etwa auf unglaublich innige Weise offenbar, wie sehr die beiden darunter leiden, ihre Liebe nicht offen ausleben zu können. Denn plötzlich taucht Tristan, von dem Isolde gerade singt, wie in einer Vision auf. Er ist also bei ihr ohne tatsächlich real anwesend zu sein.

SERAFIN Was hier sichtbar wird, ist nicht Tristan in Person, sondern ihre Sehnsucht nach diesem Menschen, nach diesem Mann. Während sie Brangäne erzählt, was zwischen ihr und Tristan vorgefallen ist, wird diese Sehnsucht so stark, dass sie für den Zuschauer Gestalt annimmt. Ein wunderschönes, einprägsames Bild, das mir überdies auf der Bühne insofern sehr entgegenkommt, als ich diesen Visions-Tristan emotional für meine Gestaltung nützen kann. Sowohl, um meiner Verärgertheit und Rachsucht Ausdruck zu verleihen, als auch meiner großen Zärtlichkeit.

SCHAGER Calixto Bieito gelingt es immer wieder, solche paradoxen Situationen auf die Bühne zu zaubern: Surreale Momente von höchster Wahrhaftigkeit.

SERAFIN Diese Formulierung trifft es sehr gut: Surreale Momente von höchster Wahrhaftigkeit. Denn die wahren, tiefen, ehrlichen Gefühle sind es, die Bieito einfordert und aus uns herausarbeitet – die ganze Bandbreite von äußerster Dramatik bis zur absoluten Zärtlichkeit. Nicht umsonst wiederholt er auf den Proben regelmäßig: Fühl dich frei, lass es gehen! Und mit dem, was dabei herauskommt, arbeitet er dann.

SCHAGER Und wenn dann auf diese Weise etwas Neues entsteht, das ihn überzeugt, ist er ohne weiteres bereit, bereits Festgelegtes wieder ad acta zu legen, Requisiten, die schon ausgeschieden waren, wieder einzubeziehen usw. Natürlich kann es vorkommen, dass wir in der Hitze des Gefechtes in einer Probe übers Ziel hinausschießen, zu Vieles in zu kurzer Zeit zeigen wollen oder uns in eine Sackgasse verlaufen. Aber dann greift Calixto sofort korrigierend ein. Man hat ein wenig das Gefühl, dass er wie ein Erfinder oder Feinmechaniker vor einer komplexen Maschine sitzt und immer wieder nachjustiert, glättet, eine Schraube anzieht, an einer anderen Stelle etwas lockert. Ich arbeite jetzt schon zum dritten Mal mit ihm und bin jedes Mal neu beglückt!

SERAFIN Und er gehört zu jenen Regisseuren, die die Musik zu einhundert Prozent respektieren, alles aus ihr heraus entwickeln.


Obwohl er mit keinem fix fertigen Konzept in die Proben geht, hat er aber sehr wohl bestimmte Bilder schon von Anfang an im Kopf.

SERAFIN Sagen wir besser, Wegmarken, die er aber dann mit uns gemeinsam ausgestaltet. Er nimmt Rücksicht auf unsere Persönlichkeiten, vertraut uns und nimmt, wie gesagt, gerne an, was wir ihm in einer Szene anbieten.

SCHAGER Apropos Bilder: Calixto Bieito hat uns tatsächlich Bilder berühmter Maler und Fotografen gezeigt, die er atmosphärisch mit bestimmten Stellen der Partitur emotional assoziiert. Das waren gewissermaßen Tools, Hilfestellungen, die er uns auf den Weg mitgab. Wir sollten nämlich versuchen, die durch so ein Bild evozierte Atmosphäre szenisch umzusetzen.

SERAFIN Er gibt uns also kein Bewegungsmuster vor, sondern Ideen von Gefühlen. Das ist ein wunderbares Arbeiten und für mich in dieser Form eine ganz neue Erfahrung. Und zu alldem fügt sich noch unser Dirigent, Philippe Jordan ein, der wiederum seine Sicht, seine Erfahrung einbringt, hier zur Vorsicht mahnt, dort Freiheiten einräumt. Kurzum: Da ist was Schönes im Entstehen!


Aber dieses gemeinsame Entwickeln, Suchen, Probieren, Finden, das Eintauchen in die tiefsten eigenen Gefühlsebenen ist schon fordernder, als wenn man bloße Anweisungen eines Regisseurs ausführen soll?

SCHAGER Das mit Sicherheit. Zumal wir hier im Tristan mit viel Aktion aufwarten. Da sitzt niemand stundenlang vor sich hinblickend irgendwo he- rum, während er seinen Part singt. Die Proben zu einer Calixto Bieito-Produktion können für Sängerinnen und Sänger in der Tat zu einer körperlichen wie emotionalen Extremerfahrung werden – aber zu einer äußerst positiven, befruchtenden. Wobei Calixto vollkommen egal ist, was man im Detail szenisch machen muss, um jene Wahrhaftigkeit des Moments einzulösen, die wir vorhin erwähnten.

SERAFIN Calixto spricht in diesem Zusammenhang namentlich von Energie. Und wenn er diese notwendige, sich auf alle Zuschauer übertragende Energie an einer Stelle wahrnimmt, dann kann er so beglückt und erfüllt sein, dass er die Probe sogar mit den Worten vorzeitig beendet: Ich habe hier etwas gespürt, was ich unverfälscht nach Hause mitnehmen möchte.


Nun entsteht so ein energetischer, beglückender Moment während einer Probe – vielleicht ganz unerwartet durch ein paar neue Ideen, die spontan entstanden sind. Wie erinnert man sich dann beim nächsten Mal an all jene Details, die zu diesem Ergebnis geführt haben? Ist so ein Glücksmoment so ohne weiteres wiederhol- und abrufbar?

SERAFIN Ja, weil sie erstens aus uns heraus entstanden sind und daher echt und nicht künstlich sind und da zweitens bestimmte Strukturen, die wir schon festgelegt hatten, sowie vor allem die Musik helfen, das gemeinsam Erarbeitete zu behalten. Abgesehen davon, dass die Regieassistenten in jeder Probe alles aufzeichnen, was wichtig erscheint.

SCHAGER Man entwickelt als Sänger eine Art muskuläres und emotionales Gedächtnis, das einem in solchen Fällen hilft. Man weiß daher auch oft Monate, ja sogar Jahre später noch ganz genau: An dieser Stelle, war folgende Position mit diesem oder jenem Gefühl verbunden. Wann immer ich also in irgendeine Inszenierung eintauche, die ich intensiv erarbeiten durfte, kann ich augenblicklich alles wieder Notwendige abrufen.

SERAFIN Und wie schon Andreas angedeutet hat: Die einzelnen Details, wie – ich bin links von ihm gestanden und er hat die linke Hand gehoben und Ähnliches – sind nicht so wichtig und auch gar nicht minuziös auswendig zu lernen. Was zählt, ist die Essenz einer Szene, eines Bildes und die Gefühle, die wir dort transportieren möchten. Und so etwas merkt man sich.


Das heißt aber, dass sich – im Detail – jeder Abend vom nächsten unterscheidet?

SCHAGER Richtig. Wir sind Schöpfer im Moment – diese kreative Freiheit ist uns gegeben.


Text Andreas Láng