© Harald Hoffmann

Die Rose als Geschenk

Im Jahr 2008 feierte Richard Strauss’ Capriccio an der Wiener Staatsoper Premiere: Unter der musikalischen Leitung von Philippe Jordan und in der Inszenierung von Marco Arturo Marelli ist eine exemplarische Produktion dieser späten Strauss-Oper entstanden. Die Handlung erzählt von zwei konkurrierenden Künstlern – ein Dichter und ein Komponist – die um die Gunst einer Gräfin streiten. Mit Capriccio hat Strauss, mitten im Zweiten Weltkrieg, eines der ältesten Opern-Themen wieder aufgegriffen und augenzwinkernd und in höchster atmosphärischer Meisterschaft durchdekliniert. Wer hat die Vorherrschaft in der Oper? Der Text? Oder die Musik? KS Michael Schade, der Flamand der Premiere wird an der Seite von KS Adrian Eröd, KS Angelika Kirchschlager, Markus Eiche, Wolfgang Bankl und Anna Gabler in der Mai-Serie von Capriccio singen.

Die Premiere der aktuellen Capriccio-Produktion liegt exakt zehn Jahre zurück. Damals meinten Sie im Interview, dass für Sie der Text der Musik stets vorausginge.

Michael Schade: Zunächst einmal ist das ein Schock! Zehn Jahre! Unser Sänger-Leben besteht ja aus einem laufenden Kofferpacken, Reisen, Auftreten, Proben, Kreieren, Lernen. Das ist wunderschön und erfüllend, man merkt nur nicht, wie schnell die Zeit voranschreitet. Mir kommt die Capriccio-Premiere aus 2008 wie gestern vor – die Arbeit mit Philippe Jordan, Marco Arturo Marelli und den Kollegen: das war beglückend! Aber zur Frage: Mir war immer klar, dass in der Diskussion Musik oder Text der Text an erster Stelle steht. Vom Wort geht alles aus und das Wort wird ja in Musik gesetzt. Und heute konzentriere ich mich mehr denn je auf das Wesentliche: Wort, Inhalt, Sinn!

Dass das Wort im Schöpfungsprozess an erster Stelle steht, steht außer Zweifel. Strauss aber stellte in Capriccio die Frage nach dem grundsätzlichen Primat von Text oder Musik in einer Oper. Und er tendierte am Ende – er war ja Komponist – ein klein wenig zur Musik.

Michael Schade: Ich glaube, Strauss wollte auf etwas anderes hinaus. Er wollte – und man darf nicht vergessen, dass er einen Teil seiner Opern mit dem kongenialen Hugo von Hofmannsthal schrieb, einem Jahrhundert-Dichter – darauf hinweisen, dass Text und Musik eine Einheit bilden. Im Idealfall! Dass sie so organisch zusammengehören wie Muskel und Sehnen, Knochen und Fleisch. Wenn man das eine weglässt, fehlt einfach die Hälfte. Mehr als die Hälfte. Natürlich gibt es Schlager wie La donna è mobile, die auch (fast) ohne Text funktionieren könnten. Aber das ist nur an der Oberfläche. Denn jenseits des Ohrwurms steht auch beim Duca in Rigoletto eine komplexe Figur, die wie die Musik auch Worte braucht, um dargestellt und ausgeleuchtet werden zu können.

Aber…

Michael Schade: … kein Aber!

Doch wenn Sie als Prinz in Rusalka auf der Bühne stehen, ist – von den Untertiteln abgesehen – der tschechische Text für die meisten im Publikum Fremdsprache. Und auch für die meisten Sängerinnen und Sänger.

Michael Schade: Es fängt ja tatsächlich beim Sänger an: natürlich beherrscht man nicht alle Sprachen. Aber wenn ich eine Partie, egal in welcher Sprache, lerne, lerne ich nicht nur jedes Wort, sondern muss jede Wortbedeutung kennen. Ich muss jedes Wort fühlen. Es reicht ja nicht, nur Vokabel zu singen. Wenn ich aber den Sinn der Worte kenne, und auch den tieferen Sinn verstanden habe, dann fange ich ganz automatisch an, mit meiner Stimme ein Bild zu malen. Und dieses Bild ist verständlich, fühlbar, sichtbar. Es vermittelt sich, solange ich ehrlich bin – und eine Wahrheit hinter meinen Worten steht.

Was bereitet dem Sänger Schade eigentlich mehr Freude? Eine Premiere von Capriccio, inklusive sechs Wochen Probenzeit und der Erfahrung einer neuen Produktion oder die Rückkehr zu einer Rolle, die man erfolgreich und mit Freude gesungen hat? Also eine Art Heimkehr?

Michael Schade: Sagen wir es so: Jeder Tag, jeder Auftritt an der Wiener Staatsoper ist ein Geschenk! Man muss als Sänger ja immer im Kopf haben, dass keiner ewig und für immer singt und es immer – und gerade an einem solchen Haus – ein Privileg ist, auftreten zu dürfen. Mozart und Strauss an diesem Haus zu singen, das ist doch wirklich das Höchste! Was kann es da mehr geben? Ich fühle mich heute jünger und jugendlicher als je zuvor und bin noch mehr Flamand, als ich es war. Flamand … das ist eine so fantastische Rolle, schwierig, aber dennoch so klug ausgedacht und fein gezeichnet! Überhaupt diese ganze Oper Capriccio! Da steckt viel hohe Träumerei darin, ein unendlich wichtiges Nachsinnen. Das Ganze ist ja eine Art Neo-Rokoko, ein Schweben, ein Bild, und dennoch viel Wahrheit! Capriccio ist ein Stück, in das man sich immer aufs Neue verlieben kann – und man wird immer etwas Neues darin finden.

Seit der Capriccio-Premiere haben Sie einiges von Wagner gesungen. Hat das Ihre Strauss-Sicht verändert?

Michael Schade: Ich bin ein sogenannter Zwischenfachtenor, also kein Lauritz Melchior. Ich habe meinen Wagner sehr lyrisch genommen – und das hat auch gut geklappt. Doch im Grunde bleibe ich stets ein Mozart-Tenor...

Kann man sagen, dass bei Strauss der Liedgesang mehr die Basis ist als bei vielen anderen Komponisten?

Michael Schade: Das ist sicherlich richtig. Aber mehr noch als alles andere würde ich Mozart als die eigentliche Basis für jeden Strauss-Sänger nennen. Über die Verwandtschaft von Strauss und Mozart wurde ja schon viel gesagt und sehr viele Mozart-Sänger landen früher oder später bei Strauss. Ich habe den Eindruck, dass Strauss-Singen ja auch nur eine Art Mozart-Gesang ist, nur mit längeren Bögen und mit etwas mehr Schmelz.

Und zumeist auch mit mehr Orchester.

Michael Schade: Immer wieder auch mit mehr Orchester. Aber das heißt ja eigentlich nur: Mehr Farben und nicht mehr Lautstärke. Sagen wir es so: Strauss ist ein Mozart-Plusplus. Dieses Plusplus nimmt Mozart aber nichts weg.

Capriccio wurde mitten im Zweiten Weltkrieg geschrieben, vermeidet aber jede Thematisierung des Gräuels.

Michael Schade: Ich glaube, dass es wesentlich ist, sich – in allem Schrecklichen, das der Menschheit angetan wurde und wird – an die Kunst und Schönheit, wie sie auch immer definiert wird, anzuklammern. Wenn nur noch Verwüstung und Hölle bleibt, kann die Kunst eine Hilfe sein. Das ist wie beim Maler, der in der größten Sommerhitze ein Winterbild malt, um sich abzukühlen. Man muss das als Geschenk nehmen… Ein Bunker ist etwas Schreckliches; eine Rose im Bunker ein Geschenk…

Oliver Láng


Richard Strauss
Capriccio

17., 20., 24., 27. Mai

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