Die Meisterin des Belcanto

Mit der Titelpartie in Donizettis Anna Bolena feierte KS Edita Gruberova weltweit Triumphe – etwa 2012 in Tokio beim Japan-Gastspiel der Wiener Staatsoper. Nun wird sie die Rolle der unglücklichen englischen Königin, die ihr Leben am Schafott beenden musste, erstmal im Haus am Ring verkörpern.

Sehr geehrte Frau Kammersängerin, Anna Bolena zählt zu Ihren Lieblingsbelcanto-Partien: Warum?

Edita Gruberova: Nun, sie ist ja zunächst einmal eine historisch sehr interessante Persönlichkeit. Sicherlich sind manche Aspekte der Opernhandlung frei erfunden oder gegenüber den geschichtlichen Fakten verändert worden, aber das macht nichts, denn diese Abweichungen sind erstens den Gesetzen der Bühne geschuldet und betreffen zweitens nicht die wesentlichen Eckdaten, die da lauten: Anna Bolena kam als zweite Frau Heinrich VIII. auf den Thron, konnte ihrem Mann keinen männlichen Erben gebären, wurde des Hochverrats und Ehebruchs angeklagt und schließlich enthauptet. Der Librettist hat das alles etwas ausgeschmückt

und romantisch verbrämt und Donizetti in wunderbare Musik gekleidet, genauso wie übrigens bei den von mir ebenso geschätzten beiden anderen englischen Königinnenopern Roberto Devereux und Maria Stuarda. Und diese wunderbare Musik ist der weitere und eigentliche Grund meiner Liebe zu diesem Werk. Die Musik im Allgemeinen und die schöne 20minütige Finalarie im Besonderen!

Sie haben die Rolle einmal als besonders schwer bezeichnet …

Edita Gruberova: Das wundert Sie? Im Grunde ist Anna Bolena hinsichtlich der mannigfaltigen Herausforderungen, der Größe der Titelpartie und der Länge der Oper ein kleiner Wagner. (lacht).

Eine Senta?

Edita Gruberova: Nein, eine Walküre! (lacht). Ganz im Ernst: Donizetti fordert hier einiges von der Prima Donna, zumal man den ganzen Abend über ordentlich kalkulieren muss, da die Sängerin bei der bereits erwähnten Finalarie, noch genügend Reserven haben sollte, um ihn als jenen Höhepunkt des Stückes zu präsentieren, der er auch ist.

Inwieweit zeigt Donizetti die sich verändernde Situation der Anna Bolena? Hat sie am Beginn eine andere Musik als am Schluss knapp vor ihrer Hinrichtung?

Edita Gruberova: Eindeutig, Donizetti ist ein begnadeter Dramaturg! Die Oper beginnt ganz harmlos und steigert sich fulminant zur Tragödie. Am Anfang ist sie lediglich unglücklich, träumt vielleicht von der großen Liebe zu Percy, aber irgendwann kommt die Erkenntnis: Hier geht es um Leben und Tod! Und das hat Donizetti hervorragend in Musik gesetzt.

Im Belcanto ist es üblich, dass die Interpreten Verzierungen, Koloraturen, Triller einfügen, die nicht in den Noten stehen. Gibt es nun, je nach Gefühlslage der darzustellenden Person konkrete Verzierungsarten?

Gibt es sozusagen Traurigkeitskoloraturen und Freudenkoloraturen?

Edita Gruberova: Nein. Man kann dieselbe Skala oder dasselbe Ornament fröhlich oder traurig singen. Die Kunst besteht vielmehr im emotionalen Ausfüllen solcher Verzierungen und darin, diese dem Publikum so zu übermitteln, dass es unmittelbar gepackt wird.

Sie sprachen von der großen Finalarie – machen die Ensemblestellen auch Spaß, oder sehen Sie diese eher als Übergang zu den solistischen Auftritten?

Edita Gruberova: Ich liebe die Ensemblepassagen über alles, aber nur, wenn ich musikalische und musikantische Kollegen habe, die in der Lage sind, Übergänge fließend zu gestalten, Kollegen, die zuhören und reagieren können. Ich habe als Studentin vier Jahre lang in einem Chor gesungen und durfte dort das Aufeinanderhören trainieren – es fordert schließlich viel Disziplin sich in den Gesamtklang eines Chores zu integrieren. Es war auf jeden Fall eine gute sowie nützliche Schule und ich kann jedem angehenden Sänger nur empfehlen, parallel auch in einem Chor mitzumachen.

Durchstöbern Sie gelegentlich noch Donizetti-Partituren, ob es nicht Wert wäre, eine weitere seiner Opern einzustudieren?

Edita Gruberova: Ich habe noch ein bisschen herumgesucht und Gemma di Vergy habe ich sogar angefangen zu lernen. Aber letztendlich fand ich trotz verschiedener schöner Stellen keinen plausiblen Grund dieses Werk auch noch in mein Repertoire aufzunehmen. Wozu? Das was an dieser Partitur interessant ist, existiert auch in Anna Bolena oder Roberto Devereux, nur sind diese beiden Königinnen als Figur greifbarer als diese Gemma di Vergy. Ist mir ein Charakter zu glatt, zu wenig griffig, ist er auch nicht so gut emotional aufladbar und dann verlässt mich die Lust das Stück zu lernen. Dasselbe gilt genauso für Elisabetta al castello di Kenilworth: in dieser Oper sind die Koloraturen fast schon Selbstzweck und nicht aus der Figur heraus begründ- und interpretierbar. Nein ich bin zufrieden mit den Normas, Lucrezia Borgias, Elisabettas und Anna Bolenas die ich derzeit verkörpere.

Sie haben einmal Donizetti mit einem spritzigen Weißwein und Bellini mit einem guten Rotwein verglichen. Könnten Sie diesen Vergleich umlegen auf die Kunstgeschichte – welche Stilrichtung in der Malerei würde Donizetti und welche Bellini entsprechen?

Edita Gruberova: Donizetti erscheint mir tatsächlich spritziger und Bellini elegischer. Also … vielleicht entspricht Donizetti einer impressionistischen Malerei, wohingegen ich Bellini eher schwere, klare Farbtöne zuordnen würde.

Sind Sie, wenn der Vorhang am Ende der Vorstellung zugeht, eher traurig darüber, dass die Vorstellung aus ist oder froh, dass sie stattgefunden hat?

Edita Gruberova: Ich persönlich freue mich wenn ich auf die Bühne hinausgehen und etwas darstellen darf, was von mir Emotionen abverlangt, ich freue mich, wenn ich merke, dass das Publikum mitgeht und ich freue mich, wenn die Aufführung schließlich gut über die Bühne gegangen ist. Wenn also der Vorhang fällt werde ich vom Gefühl gutgetaner Arbeit erfüllt.

So eine Art zufriedene Freude?

Edita Gruberova: Ja. Man hat den ganzen Körper gefordert, die komplette Seele, alle Gefühle und Emotionen eingesetzt und preisgegeben, ist erschöpft- glücklich und zugleich irgendwie freudig aufgeladen. Es dauert daher so seine Zeit, bis man innerlich wieder zur Ruhe kommt – deshalb bin ich am Tag nach der Vorstellung wohl immer einigermaßen ausgepowert.

Besitzen Sie so etwas wie ein Auftrittstagebuch?

Edita Gruberova: Ja, und ich trage nicht nur das Stück und das Datum ein, sondern auch die Dirigenten des Abends – und im Falle eines Konzertes oder einer konzertanten Aufführung – das von mir getragene Kleid. Ich weiß somit, welche Kleider ich in den letzten vierzig Jahren bei Auftritten angehabt habe (lacht).

Wie lange erinnert man sich an einen guten Auftritt? Ein Leben lang?

Edita Gruberova: Die Gala an der Wiener Staatsoper im vergangenen Februar oder die Gala an der Mailänder Scala im vergangenen Juli anlässlich der Expo beispielsweise – das waren schon Erlebnisse, von denen man eine Zeit lang zehrt. Wissen Sie, wenn man als Sängerin mit einem nicht enden wollenden Auftrittsapplaus begrüßt wird, ehe man überhaupt einen Ton gesungen hat und wenn dann nach dem Konzert das ganze Haus unentwegt Zugaben verlangt – in so einer Atmosphäre zu singen ist schon etwas Herrliches, weil man die Verbindung zu jedem einzelnen Zuschauer fühlt und dadurch künstlerisch extrem inspiriert und animiert wird.

Andreas Láng