Die Magie des Märchens
So einzigartig das künstlerische Profil des Hauses am Ring auch ist, so groß die Geschichte auch sein mag: allzu viele Meisterwerke des 19. und frühen 20. Jahrhunderts sind nicht zur Uraufführung
gebracht worden. Werther, Das Spielwerk und die Prinzessin, die szenische Erstaufführung von Oedipus rex, die zweite Fassung von Ariadne auf Naxos sind die Wichtigsten – und natürlich: Die Frau ohne Schatten. Hier hat das geniale Duo Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal ein Werk geschaffen, das der Komponist selbst als „schönste und erhabenste Arbeit“ prophezeite.
Schon ab 1910 diskutierten Strauss und Hofmannsthal über einen neuen Opernstoff, spätestens ab 1911 existierte der Titel Die Frau ohne Schatten. Inmitten des Ersten Weltkriegs entstand das Werk, 1917 war es fertiggestellt. Obgleich sich Hofmannsthal zunächst gegen Wien als Uraufführungsort aussprach, gelangte das Werk dennoch 1919 an der Wiener Staatsoper zur Weltpremiere. Erzählt wird die (komplexe) Geschichte zweier Paare – Kaiser und Kaiserin wie Färber und Färberin –, die durch Selbsterkenntnis, Selbstüberwindung zum glücklichen Ende finden. Zum 150. Geburtstag des Hauses kommt nun eine Neuproduktion heraus: Christian Thielemann dirigiert, Vincent Huguet inszeniert, es singen u.a. Nina Stemme, Evelyn Herlitzius, Camilla Nylund, Stephen Gould und Wolfgang Koch. Dass die Oper in einer Zeitenwende entstanden ist, findet Regisseur Vincent Huguet spannend: „Es war der Moment in Europa, als man sich genau an der Absprungkante zwischen Vergangenheit und Zukunft befand. Nicht nur politisch, sondern auch künstlerisch. Die Avantgarde kam auf und ließ manches plötzlich alt aussehen. Daraus ist der Gedanke der „letzten romantischen Oper“ entstanden: Ein letzter Höhepunkt, eine Verschmelzung von so vielen Dingen: Da ist die deutsche Romantik drinnen, die Welt von 1001 Nacht, Antik-Ägyptisches, Goethe und vieles mehr. Umso weiter man gräbt, desto mehr eröffnet sich eine faszinierende Welt!“
Nur ein Konzept als einzige wahre Möglichkeit anzubieten, gewissermaßen das Konzept, das die gesamte Oper auf ein Thema herunterbricht, interpretiert und ausleuchtet, davon nimmt Huguet Abstand. „Ich bin immer fasziniert, wenn andere Regisseure sagen können: ,Ich habe das Konzept schlechthin gefunden!‘ Bei Frau ohne Schatten glaube ich nicht, dass das möglich ist. Denn die Oper ist so reich, so vielfältig, so vielschichtig, dass jeder Versuch, sie auf eine Denkschiene zu setzen, einer Reduktion ihrer Ausdruckskraft gleichkommt. Mit nur einer Konzeptidee, nur einem Betrachtungswinkel wird man Frau ohne Schatten nicht gerecht!“ Und so verschreibt er sich auch nicht einer spezifischen Lesart der Oper, sondern hält sich bewusst mit konkreten Ausdeutungen zurück. „Strauss und Hofmannsthal wollten in diesem Werk, das ihr außergewöhnlichstes ihrer gesamten außergewöhnlichen Zusammenarbeit ist, die Qualität eines Märchens schenken. Nun wissen wir: Es gibt nichts Zerbrechlicheres als ein Märchen. Sobald man es erklärt, es fest zu machen versucht und die Symbolik ausdeutet, verliert es seinen Zauber. Natürlich wissen wir alle, dass Märchen nicht nur die erzählte Geschichte sind, sondern es viele darunterliegende Schichten gibt, die zum Teil gar nicht kindgerecht sind. Das ist wichtig zu wissen, um sich damit zu beschäftigen!
Doch darf man, wenn man ein Märchen erzählt, das alles nicht zu sehr in den Vordergrund rücken, sondern muss die Magie wirken lassen.“ Und so sieht sich Huguet auch als Erzähler, der die Geschichte zuallererst plausibel machen will. „Frau ohne Schatten ist komplex genug. Wenn es mir gelingt, die Oper so zu erzählen, dass sie verstanden wird – dann ist schon viel gewonnen!“ Die Parallele zum Heute ist für ihn bestechend: „Es hat mich verblüfft, wie wenig Hofmannsthal und Strauss in ihrem Briefwechsel über den Ersten Weltkrieg sprechen. Wenn, dann eher am Rande, aber niemals im Sinne von: ,Gestern war wieder eine furchtbare Schlacht, bei der 2000 Menschen gefallen sind.‘ Warum nicht? Wie kann es sein, dass zwei Menschen, die sehen, dass eine Welt untergeht und rundherum Krieg ist, nicht darüber sprechen? Dann wurde es mir klar: Sie sprachen nicht davon, weil es in Frau ohne Schatten um den Krieg geht, nicht direkt angesprochen, aber in einem höheren Sinne. Sie konnten ja gar nicht anders, als in der Oper den Krieg zu verhandeln – denn als Künstler ist man gefordert, Stellung zu beziehen und einen Kommentar abzugeben… Wie also nahmen sie Stellung? Sie sagten, dass, wenn Menschen sich – nicht nur in ihrem Verhalten, sondern auch in der Art, wie sie mit der Liebe umgehen – nicht ändern, der Zyklus des Lebens, der Generationenweitergabe unterbrochen wird und es kein Weiter, keine Kontinuität mehr gibt. Es muss ein Umdenken stattfinden, ein Sprung über den eigenen Schatten! Kein Wunder, dass damals manche Frauen sagten, dass sie keine Kinder wollen, um sie nicht für einen Soldatendienst großzuziehen… Und eigentlich ist es beklemmend, dass wir heute erneut an einem solchen Punkt angelangt sind! Vielleicht aktuell nicht militärisch. Aber auf ökologischer Ebene: Wenn wir heute nicht umdenken und unser Verhalten grundlegend ändern, werden die Generationen nach uns keine Erde mehr vorfinden, auf der man leben kann…“
Oliver Láng
Die Frau ohne Schatten
Premiere: 25. Mai 2019
Reprisen: 30. Mai 2019, 2., 6., 10. Juni 2019
Einführungsmatinee:
12. Mai 2019