Die erste Premiere im Herbst: Der Spieler
Draußen im weiten Europa tobt der Erste Weltkrieg. Davon nahezu unberührt, fernab jeglicher Frontlinie, sitzt ein junger Komponist und schreibt in unerhörtem Tempo an seiner offiziell zweiten Oper: Der Spieler, nach dem Roman von Dostojewski. Es mutet freilich fast seltsam an, dass es einem Menschen, während rundum in noch nie dagewesener Weise gemetzelt und gemordet wird, gelingt, den Fokus so absolut auf sich und sein Schaffen zu richten. Flucht? Oder Kompensation? Wohl weniger. Eher war es ein grundlegendes Element von Prokofjews Charakter, eine überaus zentrierte und konzentrierte Selbstsicht entwickeln zu können. Eine unglückliche Liebe konnte ihn schon von den Wirren der großen russischen Mobilmachung ablenken, wie viel mehr vermochte es das Ringen um ein Werk!
Man schreibt 1915, 1916, 1917: Prokofjew, der als halbes Wunderkind früh die Musik kennengelernt hatte und schon im Konservatorium durch seine zynische, harsche und mitunter überschießende Art aufgefallen war, ist gerade am Sprung zur großen Karriere. Als kompositorischer Neuerer hat er angeeckt, wurde von einzelnen Kreisen aber auch gefördert, wie etwa von Sergei Diaghilew, dem bedeutenden russischen Impresario und Kunstförderer. Als Pianist galt Prokofjew zu dieser Zeit ohnehin als eine der ganz großen Hoffnungen, nun feierte er allmählich auch als Komponist Erfolge: Während der Krieg und die politischen Unruhen am Vorabend der Oktoberrevolution das Leben drastisch erschwerten, setzte er zum Höhenflug an. Nach einer Italienreise – auf Kosten Diaghilews, auf der er unter anderem Strawinski kennenlernte – schrieb Prokofjew in Windeseile ein Werk nach dem anderen. Die Symphonie classique, das erste Violinkonzert, Klaviersonaten entstanden; die Revolution betrachtete er zwar wohlwollend, doch blieb sie für ihn ohne Folgen. Während sich andere wie Meyerhold, Kandinski, Chagall oder Majakowski als „Kulturfreiwillige“ für den neuen russischen Staat und die neue Gesellschaft engagierten, verließ Prokofjew 1918 das Land Richtung Amerika: Ein US-Industrieller und Hersteller von Landwirtschaftsmaschinen hatte ihm tatkräftige Karrierehilfe versprochen.
Inmitten dieser blutigen Zeit entstand nun Der Spieler. Nur ein Opernwerk hatte Prokofjew zuvor mit einer Opuszahl versehen, Maddalena, eine aufgeheizte Dreiecksgeschichte rund um eine schöne Frau. Unaufgeführt schlummerte diese Oper allerdings lange Zeit in der Schreibtischlade und auch dem neuen Spieler sollte ein ähnliches Schicksal drohen. Denn die Wirrnisse der Zeit machten eine Uraufführung in Russland undenkbar. Und das, obwohl der bekannte Regisseur und Mariinski-Theaterleiter Wsewolod Meyerhold von der Partitur angetan war und an eine Aufführung in St. Petersburg dachte. Doch es fehlte an allem – und letztlich auch am entscheidenden Willen. Das Moskauer Bolschoi-Theater, eine weitere mögliche Uraufführungsstätte, war ebenfalls vom Strudel der Ereignisse ergriffen und konnte sich keine aufwändige – und schwierige – Neuproduktion leisten. Also wurde der Spieler von Prokofjew erst einmal abgelegt und erst ein Jahrzehnt später wieder hervorgeholt. Doch da hatten sich die politischen Verhältnisse gegen den Komponisten gewandt – und der Verband der Russischen Proletarischen Musiker verhinderte eine entsprechende Uraufführung, da sie in Prokofjew einen Heimatsverräter sahen. 1929 gelang es erst, das Werk herauszubringen – allerdings in Brüssel und in französischer Sprache.
Der Inhalt des Werks basiert – zum Teil wortwörtlich – auf Dostojewskis 1867 erschienenen Roman gleichen Titels. Darin präsentiert der Autor, mitunter autobiografisch gefärbt, eine Handlung, die sich an einem fiktiven Ort namens Roulettenburg abspielt. Dort tummeln sich ins Trudeln geratene Figuren, die allesamt nach Geld, Glückspiel und Zuneigung gieren. Als Ich-Erzähler fungiert ein junger Hauslehrer, der in die schöne Polina verliebt ist, ihre Gegenliebe gewinnen kann, allerdings einer Spielsucht verfällt. Prokofjew hatte diese Handlung selbst als Libretto bearbeitet und sie in vier Akte gegliedert; ein besonderes Augenmerk legte der Komponist auf den Deklamationsstil und die sehr durchdachte Orchestrierung der Oper.
An der Wiener Staatsoper erklang Der Spieler erst zweimal, und das nur im Rahmen eines Gastspiels und nicht als Eigenproduktion: 1964 war das Nationaltheater Belgrad auf Besuch und brachte unter dem Dirigenten Oskar Danon das Werk zur Aufführung. Seither erklang Der Spieler nicht mehr an der Staatsoper. Damit ist die kommende Premiere des Spielers am 4. Oktober die erste Staatsopern-Eigenproduk tion: Unter Simone Young und in der Inszenierung von Karoline Gruber singen unter anderem Dan Paul Dumitrescu, Elena Guseva, Misha Didyk, Linda Watson, Thomas Ebenstein, Elena Maximova und Morten Frank Larsen.
Oliver Láng
"Ich bin der Meinung, dass sich die Größe Wagners unheilvoll auf die Entwicklung der Oper ausgewirkt hat, weshalb selbst die hervorragendsten Musiker ein Absterben der Oper als Gattung voraussehen, während doch bei Verständnis des Szenischen, ausreichender Elastizität, Freiheit und Ausdrucksfähigkeit der Deklamation die Oper die großartigste und machtvollste aller darstellenden Künste sein müsste. Der Stoff des Spielers von Dostojewski beschäftigt mich schon lange, zumal dieser Roman, abgesehen von seinem ergreifenden Inhalt, fast ganz aus Dialogen besteht, ein Umstand, der es mir ermöglicht, im Libretto den Stil Dostojewskis bestehen zu lassen. Durchaus auf das Szenische in der Oper bedacht, bemühe ich mich, den Sängern nach Möglichkeit leere Redensarten zu ersparen und ihnen so mehr Freiheit für die dramaturgische Gestaltung der Partie zu geben. Aus demselben Grund wird die Instrumentierung durchsichtig sein, damit jedes Wort zu verstehen ist, was besonders in Anbetracht des unvergleichlichen Textes von Dostojewski anzustreben war. Ich bin der Meinung, dass die üblichen gereimten Libretti vollkommen überlebt und sinnlos sind. Im vorliegenden Fall ist die Prosa Dostojewskis klarer, plastischer und überzeugender als jene Versdichtung.“ Sergej Prokofjew
Der Spieler | Sergej Prokofjew
Premiere: 4. Oktober 2017
Reprisen: 7., 10., 14., 17., 20. Oktober 2017
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Einführungsmatinee: 17. September 2017, 11.00 Uhr
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