Der Wiener Opernball
Wie jedes Jahr ist auch heuer der Wiener Opernball das international bedeutendste und wichtigste Ballereignis: Er gilt als der Künstlerball schlechthin, getragen von einem einzigartigen Flair, von Strahlkraft und einer besonderen Mischung aus Tradition und Innovation. Im Zentrum steht die Kunst – und so ist die Eröffnung, die vom Staatsopernorchester, von Sängern und dem Wiener Staatsballett gestaltet wird, ein besonderes Highlight. Heuer singen unter Ingo Metzmacher KS Carlos Álvarez sowie die Ensemblemitglieder Olga Bezsmertna und Aida Garifullina, die sich zu folgendem Gespräch trafen.
Brauchen Sie als Sänger bzw. Sängerin ein Publikum? Die Atmosphäre der Aufmerksamkeit?
Olga Bezsmertna: Ich denke, jeder Sänger beziehungsweise jede Sängerin braucht ein Publikum; im Idealfall Zuhörer, die sich mit höchster Aufmerksamkeit der Darbietung widmen. Wir auf der Bühne können nicht nur ein Publikum spüren, sondern fühlen bei jeder Opernvorstellung und bei jedem Konzert eben diese Konzentration.
Aida Garifullina: Ja, natürlich brauchen wir ein Publikum, denn aus seinen Reaktionen beziehen wir Energie und Ermutigung. Es hat große Auswirkungen auf das, was wir auf der Bühne erreichen können.
Carlos Álvarez: Singen ist im Grunde eine Sache der persönlichen Stimmung: Daher singt jeder, wirklich jeder, unter der Dusche, wenn er oder sie besonders glücklich, oder auch traurig ist … Wobei ich als professioneller Sänger zugeben muss, dass unsere Botschaft ein Publikum braucht, ein Publikum, das Komplizenschaft, Wissen und Leidenschaft für die Oper hat.
Und wieweit bestimmt die Atmosphäre eines Hauses Ihren Auftritt?
Aida Garifullina: Meine Vorstellungen ändern sich nicht wesentlich aufgrund einer bestimmten Atmosphäre in einem Haus, da sie sich vor allem auf meine intensiven Studien und die Zusammenarbeit mit meinen Kollegen während der Probenarbeit stützen; und ich konzentriere mich darauf, immer mein Bestes zu geben. Aber als Mitglied des Ensembles der Wiener Staatsoper all die Musiker und Mitarbeiter des Hauses so gut zu kennen und von ihnen unterstützt zu werden, lässt alles, was ich hier in Wien mache, besonders werden, weil ich mich wie in einer Familie fühle.
Carlos Álvarez: Es gibt eine Verantwortlichkeit, jeden Auftritt betreffend, die immer gleich sein sollte, egal wo man auftritt. Aber, wenn man sich wie zu Hause fühlt, und in Wien fühle ich mich zu Hause, dann läuft es einfach von Grund auf gut.
Olga Bezsmertna: Ich denke, dass die Beziehung, die zwischen mir und einem Publikum entsteht, für mich zum Wichtigsten gehört. So ist die Atmosphäre, die ja gerade auch durch die Zuhörer entsteht, für mich immer inspirierend.
Spürt man das Gewicht der Historie eines Hauses? Denken Sie an die Sängerinnen und Sänger, die vor Ihnen hier gewirkt haben?
Carlos Álvarez: Beide Fragen: natürlich!!!
Olga Bezsmertna: Ich finde wunderschön, wenn man die Geschichte eines Hauses spürt. Das ist ein unbeschreiblicher Zustand, zu wissen, wer hier schon gesungen hat und welche Größen vor uns auf dieser Bühne gestanden sind. Selbstverständlich betrifft das gerade die Partien, die ich hier gestalte: es ist überwältigend, an die zahlreichen großartigen Figaro-Gräfinnen, die Paminen, die Rusalkas und so weiter zu denken …
Aida Garifullina: Bei mir auch: natürlich! Wie könnte man vergessen, wer vor einem selbst in einem Opernhaus oder einem Konzertsaal gesungen oder gespielt hat? Wenn man die Geschichte unserer Kunst kennt – und dieses Wissen ist essenziell, denke ich – dann muss man sich doch bewusst sein, in wessen Fußstapfen man tritt.
Sind solche Gedanken hemmend oder beflügelnd?
Olga Bezsmertna: Nein, nein, nicht hemmend! Für mich ist das Erinnern an diese große Tradition und die Persönlichkeiten absolut beflügelnd und inspirierend!
Carlos Álvarez: So inspirierend, dass ich mich – und ich bitte dafür um Entschuldigung – in einer Fortsetzung sehen darf: als Kammersänger der Wiener Staatsoper.
Aida Garifullina: Ja, beflügelnd! Auf der Bühne der Wiener Staatsoper zu stehen und an all die Sänger, Dirigenten und Produktionen zu denken, die hier zu erleben waren, erfüllt mich mit unglaublicher Freude. Es ist die tägliche Erinnerung daran, wie weit ich gekommen bin, aber auch, wie sehr ich an mir weiter arbeiten muss, um mein Bestes geben zu können.
Welche Erinnerungen haben Sie an Ihren ersten Auftritt an der Wiener Staatsoper?
Carlos Álvarez: Ich erinnere mich immer noch an den Eindruck, den ich hatte, als ich zum ersten Mal als Figaro im Barbier mit dem „Tralalalera“ aus dem Orchestergraben auf die Bühne kletterte: Das Orchester, der Zuschauerraum – und vor mir ein zweigeschoßiges Bühnenbild, das ich zuvor nie betreten hatte … Spannend, nicht wahr?!
Olga Bezsmertna: Ah, ja! (lacht) Ich erinnere mich – bis heute! – an die Nervosität, aber auch an den Spaß, den ich hatte! Und an viele viele andere, erfüllende Gefühle!
Aida Garifullina: Ich fühlte eine große Verantwortung, aber auch Stolz! Es ist unglaublich, denn vor gar nicht langer Zeit, als Studentin, bin ich als Zuschauerin selbst hier gewesen und habe mir auf dem Stehplatz viele Produktionen begeistert angesehen. Ich war glücklich, einfach hier zu sein. Und jetzt bin ich selbst Teil dieses tollen Hauses! Außerdem ist das Wiener Publikum sehr besonders. Es ist mit Applaus sehr positiv und großzügig. Wenn es einen Künstler mag, dann ist es wahnsinnig aufrichtig und treu.
Gibt es einen letzten Gedanken vor einem Auftritt, oder ein bestimmtes Ritual, das Sie immer absolvieren, bevor Sie auf die Bühne gehen?
Carlos Álvarez: Ich glaube nicht, dass mir ein Ritual wirklich helfen würde. Ich versuche konzentriert zu sein und mich auf die kommende Vorstellung zu fokussieren: Ich rede wenig, und denke gerne an die, die ich liebe – besonders unmittelbar vor dem Auftritt.
Olga Bezsmertna: Ich bin ein Mensch mit tiefem Glauben und bete daher vor der Vorstellung und vor jedem Auftritt …
Aida Garifullina: … auch ich wende mich, bevor ich auf die Bühne gehe, an Gott und bitte ihn, dass mein Gesang die Leute im Saal glücklich machen soll. Ich möchte gerne, dass sie für einen kurzen Moment ihre Sorgen vergessen und einzig die wunderbare Musik genießen können.
Das Gespräch führte Oliver Láng