Der Tristan ist fast sängerfreundlich

Wenn man heutzutage an die typischen Heldentenorpartien denkt, fällt einem automatisch der Name Stephen Gould ein. Bei ihm weiß der Zuschauer: eine authentische und zugleich packende Interpretation ist ebenso gewährleistet, wie höchste vokale und musikalisch-stilistische Präzision. Kurzum: Der Name Stephen Gould ist ein international angesehenes Gütezeichen in der Opernwelt. Im vergangenen Herbst triumphierte er zum Beispiel im Zuge des Japan-Gastspiels der Wiener Staatsoper als Bacchus, im Haus am Ring selbst sang er zuletzt im Dezember die Titelpartie in Brittens Peter Grimes. Mit großer Spannung wird nun sein erster Wiener Tristan erwartet, mit dem er im März vor das Publikum tritt.

Herr Kammersänger, der Tristan gilt für viele als gefährlicher Prüfstein an dem man grandios scheitern kann, einer Ihrer Kollegen hat sogar festgestellt, dass er sich am Tag nach einer Tristan-Aufführung wie nach einem Autounfall fühlt …

Stephen Gould: Mir ging es mit meinem ersten Siegfried ähnlich, da konnte ich am Morgen danach fast nicht aus dem Bett aufstehen. Solche Erfahrungen sind eine gute Schule und so bin ich meinen ersten Tristan in stimmlicher Hinsicht sehr strategisch angegangen: habe ein paar Stellen konzertant ausprobiert und eine Neuproduktion gesucht, bei der ich viel Probenzeit hatte, um wirklich sattelfest zu werden. In Tokio wurde ich schließlich fündig – es handelte sich übrigens um dieselbe großartige Inszenierung von David Mc Vicar, die auch in Wien zu sehen ist. Ich habe David gleich zu Beginn erklärt, dass ich ein Tristan-Debütant wäre und daher noch einiges ausprobieren müsste – das hat ihn gar nicht gestört und wir haben die zur Verfügung stehenden sechs Wochen genutzt und bestens zusammengearbeitet. Gott sein Dank handelt es sich hier darüber hinaus um eine Inszenierung, die das Stück abbildet, und nicht das Ego des Regisseurs!

Sie singen also Ihren ersten Wiener Tristan und kennen bereits vorab die komplette Regie in- und auswendig!

Stephen Gould: Genau genommen bin ich sogar Teil dieser Inszenierung, sie gehört gewissermaßen mir, zumindest ein bisschen (lacht). Es gibt nur einige Details, die in Wien anders sind: In Japan ist die Spielfläche etwas breiter gewesen und es gab echtes Wasser auf der Bühne, aber sonst bin ich in dieser Produktion praktisch zu Hause.

Sie sagen, Sie haben sechs Wochen mit McVicar geprobt. Ist das nicht sehr anstrengend? Viele Sänger klagen darüber, dass die Probenzeiten bei Neuproduktionen im Allgemeinen zu lang sind und sie müde werden, ehe die Premiere stattgefunden hat.

Stephen Gould: Das stimmt im Allgemeinen, aber den Tristan musste ich in den Körper bekommen und so waren die damaligen sechs Wochen gerade genug. Worüber die Kollegen vor allem klagen, und da stimme ich mit ihnen überein, ist jedoch weniger eine ausgedehnte szenische Arbeit, sondern die enge Aufeinanderfolge der letzten großen Proben knapp vor der Premiere: Bühnenprobe folgt auf Bühnenprobe, davor eine Sitzprobe, danach die Hauptproben, dann gleich die Generalprobe. Manche Opernhäuser verstehen oft nicht, dass wir Pausen brauchen, um uns stimmlich, aber auch physisch zu erholen. Es gibt, wie Sie wissen, Inszenierungen, in denen kriecht man stundenlang auf den Knien herum oder hat sich sonst irgendwie körperlich zu betätigen, das allein ist schon Kräfte raubend.

Und wie viele Tage Pause benötigen Sie zwischen zwei Tristan-Vorstellungen?

Stephen Gould: Beim Tristan, bei beiden Siegfrieden oder beim Tannhäuser brauche ich zwei Tage Ruhe, andere Rollen, etwa einen Siegmund, könnte ich jeden Tag singen.

Hat Wagner gewusst was er den Sängern antut?

Stephen Gould: Er hat einen neuen Gesangsstil kreiert und in seinem revolutionären Ungestüm nicht verstanden, wie viel er von den Sängern erwartet. Einerseits hatte Wagner festgestellt, dass auch seine Werke die italienische Manier à la Bellini verlangen, mit anderem Wort lange Legato-Phrasen, gleichzeitig war ihm wieder der Text, die Deklamation wichtiger als die große Linie. Diese Vorgaben versucht jeder Interpret unter einen Hut zu bringen – und dabei darf man das große Orchester nicht vergessen. Aber beim Tristan ist eher die Länge das Problem, denn Wagner hat diese Partie fast sängerfreundlich geschrieben.

Sängerfreundlich? Wie das?

Stephen Gould: Nun, im ersten Akt hat der Tristan nicht so viel zu tun, fängt in der Mittellage an und arbeitet sich langsam hinauf, man kann sich also warm singen. Im zweiten Akt kommen die großen lyrischen Momente und im dritten – tja, da muss der Sänger dann alles geben. Aber verglichen mit dem Siegfried oder Tannhäuser, wo die schrecklichsten Passagen schon zu Beginn dran kommen, ist der Tristan, wie gesagt in diesem Aspekt sängerfreundlich.   Wenn halt diese Länge nicht wäre.Tristan ist ein Marathon und der Interpret sollte sein vorhandenes „Benzin“ genau einteilen.

Sich also streckenweise etwas zurückhalten …

Stephen Gould: Das Wort „zurückhalten“ mag ich nicht so sehr, denn es meint die Drosselung der Energie und das kann auf der Bühne wirklich gefährlich werden. In dem Moment, in dem die Energie weniger wird, wirkt sich das negativ auf die Gesangstechnik aus, die Phrasen brechen weg, die Stimme wird enger und das stresst mehr, als wenn man Vollgas gibt. Mit anderen Worten: an einigen Stellen ist es vielleicht gestattet etwas weniger zu geben, ohne aber den Energielevel hinunterzufahren.

Wenn Sie als Tristan schließlich gestorben sind, hat die Isolde noch Wesentliches zu singen. Denken Sie sich dann: „Ha, die hat noch einiges vor sich“, oder sind Sie einfach froh, es selbst geschafft zu haben?

Stephen Gould: Ich hoffe, dass ich als Toter keinen Hustenanfall bekomme. (lacht) Genau genommen habe ich im Tristan und in der Götterdämmerung am Ende den besten Platz im Zuschauerraum: direkt auf der Bühne, von wo ich den herrlichen Rest der Oper mit verfolgen und genießen kann.

Sie waren ursprünglich Bariton – offenbar eine ideale Basis für einen späteren Heldentenor?

Stephen Gould: Für mich ist es von Vorteil, vor allem hinsichtlich der in den Heldentenorpartien oft geforderten Mittellage und Tiefe. Aber ganz grundsätzlich muss der Heldentenor ohne hinaufgebaut werden, er wird nicht als solcher geboren. Und ob ein Sänger aus der Richtung lyrischer Tenor zu bauen beginnt oder aus der Richtung lyrischer Bariton, der ich war, ist letztlich unerheblich, so lange man sich Zeit lässt.

Das heißt: Sie sind nicht, quasi zufällig, von der Stimme in Richtung Heldentenor geführt worden, sondern hatten von Anfang an das feste Ziel Heldentenor vor Augen?

Stephen Gould: Gewissermaßen, ja. Aber nichts desto trotz musste sich die Stimme entwickeln, man singt ein bestimmtes Repertoire und nähert sich langsam dem Ziel an: das meine ich mit „aufbauen“. So mit 45 Jahren ist es endlich soweit – aus diesem Grund gibt es praktisch keine 28 jährigen Siegfriede und wenn es sie gibt, dann ist die Stimme des Betreffenden sehr bald dahin.

Sie singen Tristan, aber eben auch Siegmund, dann wieder Parsifal, dann wieder Siegfried. Wie funktioniert das Umschalten zwischen diesen Rollen? Heute das ganz schwere Fach, morgen das leichtere, dann wieder zurück ins schwere …

Stephen Gould: Am Montag Siegfried und am Donnerstag Parsifal würde beispielsweise nicht so leicht gehen, weil die Siegfried-Tessitura hoch und jene vom Parsifal tief ist. Aber ganz grundsätzlich und mit genügend Abstand zwischen den Vorstellungen ist man in meinem Fach, Gott sei Dank, nicht nur auf die typischen schweren Heldentenorrollen festgeschrieben – eine solide Technik vorausgesetzt.

Und wie sieht die mittlere Zukunft aus? Den Tristan werden Sie im Repertoire behalten …

Stephen Gould: Den Tristan kann man singen, so lange man gesund ist, also auch noch deutlich jenseits der 60. Mit den Siegfrieden schaut es da schon ein wenig anders aus. Ich würde sagen: Das Ablaufdatum von den Siegfrieden, vor allem des jungen Siegfried, liegt bei ungefähr zehn Jahren, danach geht es bergab, deshalb werde ich mich neben dem Tristan in einigen Jahren eher auf den Siegmund und den Loge konzentrieren und den Siegfried abgeben …

Was sehr schade ist …

Stephen Gould: Aber notwendig.

Sie haben einen Wohnsitz in Wien: angeblich hat auch das mit Richard Wagner zu tun?

Stephen Gould: (lacht) Als klar wurde, dass meine Stimme in Richtung deutsches Fach tendiert, hat mir mein Lehrer in New York dringend geraten nach Deutschland, Österreich oder in die Schweiz zu gehen und dort längere Zeit zu wohnen – mit längerer Zeit meine ich einige Jahre. Warum? Um die Sprache wirklich gut zu erlernen, den Rhythmus, den Klang des Deutschen. Wagner hat seine Musik auf diese Sprache hin komponiert. Um Wagner, aber auch Strauss wirklich adäquat interpretieren zu können, reicht es nicht, die Worte in der richtigen Aussprache einzustudieren. Man muss die Seele der Sprache erfassen und das kann ein „Ausländer“ nur, wenn er hier länger lebt. Davon abgesehen, gefällt mir Wien als Stadt sehr gut!

Das Gespräch führte Andreas Láng


Tristan und Isolde | Richard Wagner
12., 15., 19. März

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