© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

DER prägende MOMENT

KS Ricarda Merbeth debütierte 1999 als Marzelline in Fidelio im Haus am Ring. Sie war Ensemblemitglied und hat bis heute fast 300 Abende quer durch das Repertoire an der Staatsoper gesungen. In den beiden Juni-Serien vom Ring des Nibelungen interpretiert sie Brünnhilde (Die Walküre, Siegfried und Götterdämmerung), beim Offiziellen Freundeskreis der Staatsoper ist sie am 28. Juni um 14 Uhr für ein Künstlergespräch im Rahmen von Mittagspause mit zu Gast.
 

Meine ersten prägenden Momente? – Sie waren wohl prägender für meine Eltern als für mich! Denn sie liegen in meiner frühesten Kindheit und ich kenne sie nur aus Erzählungen. Nämlich: Dass ich damals schon nichts anderes wollte als singen und das – offenbar – auch mit schöner Stimme tat. Noch bevor ich sprechen konnte. Noch bevor ich überhaupt wusste, was singen ist. Aber: Ich sang. Das blieb auch so, die ganze Kindheit lang. Sehr genau kann ich mich noch an ein Theatererlebnis erinnern, das ich mit etwa zehn Jahren hatte. Ich saß in einer Vorstellung und fragte mich plötzlich, wohin die Menschen, die die Bühne verlassen, eigentlich gehen? Wo sind sie, wenn sie nicht mehr am Podium stehen? Über diese Gedankengänge baute ich eine Verbindung mit der Bühne auf, ohne dass meine Vorstellungen von dem, was Theater eigentlich bedeutet, allzu konkret wurden. Denn was der Beruf eigentlich tatsächlich ist – das habe ich erst sehr viel später begriffen, Anfang der 1990er Jahre, als ich in die Musiktheaterwelt so richtig eingestiegen bin.

Genau in dieser Zeit fand ein international mehr als einschneidender Augenblick statt: der Fall der Berliner Mauer und die Wiedervereinigung der beiden Teile von Deutschland. Die Tragweite dieses Ereignisses ist uns allen klar – ich selbst war damals in meinem ersten Engagement in Magdeburg und hatte mich sofort in meine neuen Partien gestürzt, so intensiv, dass dieses weltgeschichtliche Ereignis beinahe an mir vorbeigegangen wäre. Aber wie oft habe ich in den nachfolgenden Jahren daran gedacht – und wie dankbar! Wie viel wäre nicht möglich gewesen, wie anders wäre auch mein Leben, auch mein künstlerisches Leben gewesen, ohne den Fall der Mauer und die Freiheit.

Denke ich an wichtige Augenblicke meiner musikalischen Biografie, fällt mir natürlich immer auch Wien ein. Die Daphne-Premiere des Jahres 2004 etwa – das war ein besonderes Erlebnis für mich, auch durch die Inszenierung von Nicolas Joel und den Dirigenten Semyon Bychkov. Diese Daphne zog übrigens etliche Engagements nach sich, die mich nach Paris brachten. Und weil ich über Paris rede: Dort durfte ich mit Philippe Jordan erstmals die Brünnhilde in Siegfried und in der Götterdämmerung singen, eine wunderbare Gelegenheit. Auch Franz Welser-Möst bescherte mir großartige Abende, an der Mailänder Scala mit der Ägyptischen Helena oder zuletzt in Wien mit Elektra. Ich bleibe bei großen Dirigenten: Daniel Barenboims Lob nach unserer gemeinsamen Elektra in Berlin wird mir immer in Erinnerung bleiben: »Aber wie Sie das singen«, meinte er... Und dieses »Wie«, das vergesse ich niemals. Auch Christian Thielemann möchte ich in der Galerie der prägenden Dirigenten nennen, mit ihm durfte ich erstmals in Dresden alle drei Brünnhilden im Ring des Nibelungen machen: für mich eine Wegmarke. Viele weitere könnte ich aufzählen, mit praktisch allen Maestri bin ich gut ausgekommen, zu so vielen fallen mir bewegende Ereignisse ein. Aber Wien bleibt natürlich eine für mich ganz wichtige Stadt – und da gehört auch die Verleihung des Kammersängerinnen-Titels dazu: Ich hatte die große Ehre, sie vom damaligen Direktor Ioan Holender im Teesalon der Wiener Staatsoper überreicht zu bekommen. Wie schön, dass ich nun an dieses wunderbare Opernhaus mit den Brünnhilden zurückkehren darf!