Der Herr der Zahlen

Im Jahr 1981 trat Thomas Platzer in die Österreichischen Bundestheater ein, seit fast 21 Jahren ist er der kaufmännische Leiter der Wiener Staatsoper. Mit Ende der Direktion Dominique Meyer tritt er in den Ruhestand – Zeit für einen Blick hinter die wirtschaftlichen Kulissen des Hauses.

Wenn Sie sich als kaufmännischer Direktor in eine beliebige Vorstellung setzen: Können Sie den Abend genießen? Oder läuft bei Ihnen automatisch ein Taxameter mit, der die Kosten anzeigt?

Thomas Platzer: Ich gebe zu, dass es mir in den ersten beiden Jahren als kaufmännischer Leiter der Staatsoper genauso gegangen ist und ich in Gedanken immer bei den Kosten war. Ich sah nicht Sängerinnen und Sänger auf der Bühne, sondern nur das Geld herumlaufen. Besonders in puncto Kostüme: Da rechnete ich laufend mit, so und so lange sieht man das Kostüm, so und so viel hat es gekostet. Das ist natürlich so etwas wie eine Berufskrankheit. Aber es legte sich zum Glück schnell und seit langem genieße ich Vorstellungen ebenso wie jeder andere. Wenn ich zusätzlich weiß, dass die wirtschaftliche Auslastung stimmt – dann freue ich mich natürlich doppelt.

Welche Freude überwiegt in einem solchen Fall? Jene über einen künstlerischen oder den finanziellen Erfolg?

Thomas Platzer: Da wohnen zwei Seelen in meiner Brust, denn für einen kaufmännischen Leiter gibt es immer beide Aspekte: das Geld und die künstlerische Qualität. Im Idealfall stimmt beides und die Seelen freuen sich gleichermaßen.

Viele Künstler wurden in ihren Beruf gleichsam hineingeboren und fühlten sich der Musik von Anfang an verbunden. War es bei Ihnen bezüglich des Wirtschaftlichen, des Zahlenwesens ebenso?

Thomas Platzer: Schwierige Frage. In meiner Jugend fand ich Mathematik stets sehr spannend. Das Tüfteln an komplexen Fragestellungen, das Lösen von Wahrscheinlichkeitsrechnungen oder komplizierten Gleichungen mit mehreren Unbekannten zog mich eindeutig an. Insofern würde ich sagen, dass es schon so etwas wie eine Vorliebe für die Welt der Zahlen gibt. Das hat sich quer durch mein Leben gezogen. Als zum Beispiel das Computerzeitalter anbrach, eröffnete sich für mich ein neues, herausforderndes Feld, das ich zum Teil im Selbststudium beackerte. Ich weiß noch, wie ich mir ein umfangreiches Excel-Buch kaufte und es auf der Suche nach Anwendungsmöglichkeiten für meinen Beruf durcharbeitete.

Weil Sie das Selbststudium erwähnten: Was am Beruf des kaufmännischen Geschäftsführers eines Opernhauses ist tatsächlich lehrbar, was kann man nur aus der Erfahrung erwerben?

Thomas Platzer: Ich denke, ich bin diesbezüglich ein Unikat und werde es auch bleiben, denn mein Werdegang ist ja nicht alltäglich. Ich traf am Beginn meiner Laufbahn auf einen echten Visionär, den damaligen Leiter der Hauptabteilung Rechnungswesen, Erich Lutz, der mich neun Jahre vor seiner Pensionierung auswählte und meinte: „Sie üben ab nun hintereinander alle Positionen in allen Sachabteilungen aus und werden danach mein Nachfolger“. Das war eine wunderbare Sache. Denn so lernte ich genau, was wo wie zu tun ist und kenne vieles aus erster Hand. Das kann kein Studium vermitteln, soviel Praxis gibt es nur in der Praxis und vieles kann man sich nur selbst mit eiserner Disziplin beibringen. Natürlich, es braucht eine Anleitung, aber den Kurs „Kaufmännische Leitung Wiener Staatsoper“ – den kann es nie geben.

Meistens gibt es einen Bereich, für den man besonders brennt. In Ihrem Fall ist es der Kartenvertrieb?

Thomas Platzer: Nein, es ist und bleibt das Budget im Gesamten. Eine komplexe Materie! Es war immer schon mein Steckenpferd, das Budget punktgenau zu berechnen und abzubilden. Wobei der Kartenvertrieb seine spannenden Seiten hat: Wie bekomme ich selbst unter schwierigen Umständen eine gute Auslastung hin?

Zum Beispiel?

Thomas Platzer: Am Aschermittwoch, wenn alle zum Heringsschmaus gehen und nicht ins Theater kommen. An diesem Tag ist die Nachfrage nach Opernkarten nachweislich geringer.

Hätten Sie rein aus Ihrer Erfahrung bei einem beliebigen Spielplanentwurf Dominique Meyers auf den ersten Blick sagen können: Dieses oder jenes Projekt – das wird auslastungstechnisch schwierig?

Thomas Platzer: Um ehrlich zu sein: Da Dominique Meyer immer einen sehr guten Spielplan gemacht und die wirtschaftliche Situation mitgedacht hat, waren solche Warnungen nicht nötig. Natürlich gibt es Abende, die besser gehen und andere, die etwas zäher im Verkauf sind. Das gleicht sich im Laufe einer Spielzeit aus. Vieles kann ich aus meiner Erfahrung im Vornherein abschätzen, aber den Ehrgeiz, die jeweilige Auslastung einer zukünftigen Vorstellung präzise vorhersagen zu können, habe ich nicht. Es gibt da etwas Besseres: Ich besitze eine Tabelle, in der jede Aufführung meiner knapp 21 Jahre mit ihrer Auslastung verzeichnet ist, man kann also auf Knopfdruck nachschauen, wie der Abend X, der Abend Y oder alle Aufführungen eines Titels wirtschaftlich ausgesehen haben. Daraus lässt sich viel herauslesen.

Aber wovon hängt die Auslastung ab? Gibt es Stücke, die sich von selbst verkaufen?

Thomas Platzer: Natürlich gibt es Operntitel, wie die Zauberflöte oder Traviata, die praktisch immer gut gehen. Viele erstaunt es, dass Richard Strauss – bis auf den Rosenkavalier – eher schwierig im Verkauf ist. In solchen Fällen wirkt sich die Besetzung sehr stark aus, wenn man zugkräftige Namen hat, läuft auch Capriccio gut. Natürlich kann es eine Rolle spielen, wie oft man einen Abend spielt. Viermal eine gute und beliebte Produktion wie Cardillac ist kein Problem, achtmal wird rein auslastungstechnisch zu viel sein. Es kann natürlich Ausnahmen geben, La Fille du régiment etwa lief 2007 zehnmal hintereinander ausverkauft oder die Entführung aus dem Serail im Jahr 2006 ebenso zehnmal ausverkauft – aber das hatte auch mit dem Mozartjahr zu tun. Es gibt Werke, die weniger bekannt sind, wie zum Beispiel La Juive und vom Publikum dennoch sehr gut angenommen wurden. Es sind einfach zahlreiche Faktoren, die eine Auslastung bestimmen.

Muss der kaufmännische Leiter aufgrund der Vorsicht, zu der er gesetzlich verpflichtet ist, im Kulturbetrieb immer ein wenig der Spielverderber sein?

Thomas Platzer: Ich hatte als Geschäftsführer nur zwei Direktoren, Ioan Holender und Dominique Meyer, und beide waren auch aus kaufmännischer Sicht sehr gut! Weil sie beide nicht nur künstlerisch, sondern auch wirtschaftlich dachten und darauf achteten, dass das Geld nicht einfach so ausgegeben wird. Und weil sie Spielpläne erstellten, die entsprechend zugkräftig waren. Und die Ergebnisse gaben ihnen recht!

In Ihren gut 20 Jahren haben Sie – geschätzt – zwölf Millionen Karten verkauft...

Thomas Platzer: ... was vor allem eines zeigt: Das Publikum in Wien ist fantastisch! Interessiert, treu und begeisterungsfähig. Einfach fantastisch!

Das Gespräch führte Oliver Láng