© Peter Mayr

DER AUFBRUCH INS NEUE

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Wenn man Richard Straussʼ Feuersnot aus 1901 mit seiner darauffolgenden Oper Salome aus 1905 vergleicht, wird der stilistische Quantensprung offenbar, der stattgefunden hat. Salome ist eine Art musiktheatraler Urknall. Was ist da passiert?

PHILIPPE JORDAN Guntram und Feuersnot, seine ersten beiden Opern, sind ja noch sehr post-wagnerisch. Das war ein stilistischer Pfad, den etliche seiner Kollegen in dieser Zeit beschritten haben. Strauss selbst hat allerdings bald erkannt, dass dieser Weg – musikalisch wie stofflich – nicht weiterführt, sich viele Themen, die bekannten Helden- und Götterstoffe, erschöpft haben. Und er wusste natürlich, was musikalisch rund um ihn sonst noch geschah und kannte die anderen existierenden Stilrichtungen. Strauss spürte, dass nun etwas Anderes kommen musste und als Enfant terrible seiner Zeit wagte er das Neue. Und dieses Neue war Salome.


Seine musikalische Sprache hatte er zuvor mit seinen Symphonischen Dichtungen weiterentwickelt und geschärft. Er selbst sprach davon, dass sie »Vorbereitungsarbeiten« für Salome gewesen waren.

PHILIPPE JORDAN In der Tat führten seine Symphonischen Dichtungen zu Salome und auch Elektra, diese Opern stehen ganz im Geist der großen Orchesterwerke, die man als eine Art kompositorische Werkstatt ansehen kann. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass diese Symphonischen Dichtungen zu ihrer Zeit ungemein gewagt und modern waren. Das nicht nur in Bezug auf ihre musikalische Sprache, sondern auch thematisch. Es ging immer wieder nicht mehr um die großen Helden, sondern vor allem um Anti-Helden: ein Don Quixote, ein Till Eulenspiegel, sie unterschieden sich stark von tradierten Protagonisten-Idealen. Schon darin lag eine bewusste Abkehr vom Wagner’schen Modell – was Cosima Wagner Strauss übrigens prompt vorwarf. Eine starke Verwandtschaft zu Salome entdecke ich etwa in Also sprach Zarathustra, obgleich dieses Werk knapp zehn Jahre vor Salome uraufgeführt worden war. Einerseits in dem religiösen Element, aber auch in der Lust am Kolorieren, an einer mitunter »exotisch« wirkenden Klangwelt – dies übrigens auch ein Zeitphänomen.


Um beim Thema Wagner noch einmal einzuhaken. Wie viel Wagner steckt noch in Salome?

PHILIPPE JORDAN Schon noch sehr viel! Salome steht eindeutig in der Wagner-Nachfolge. Allein schon durch die Leitmotiv-Technik, die auch bei Strauss ein wesentliches Kompositionselement ist. Es hat jede Figur oder auch Situation ihr Motiv, mitunter sind es mehrere. Während die Leitmotive bei Wagner deutlich psychologischer angelegt sind, sind die Motive bei Strauss vor allem Material, um ganze Szenen zu bauen. Wir finden sie in allen möglichen Kombinationen, in Umkehrungen, Verlängerungen, Verkürzungen – all das dient dazu, ein großes Gemälde zu entwerfen. Nicht zu vergessen ist in Bezug auf Wagner die Orchesterbesetzung: Strauss greift auf Wagners Klangapparat zurück, der jedoch deutlich erweitert wird.


War ab dem Rosenkavalier Mozart der Bezugspunkt für Strauss, so war es bei Salome und Elektra also noch Wagner?

PHILIPPE JORDAN Ja. Ein weiteres Wagner-Element ist die durchkomponierte Struktur, die wir sowohl bei Salome als auch bei Elektra wiederfinden. Dazu kommen bewusst gesetzte Verweise, denken Sie etwa an den Beginn der Oper, wenn der verliebte Hauptmann Narraboth singt, »Wie schön ist die Prinzessin Salome heute Nacht!« Unmittelbar darauf erklingt in den Celli ein Thema, dessen Bezugspunkt unverkennbar Tristan und Isolde ist: Es geht ja um die sehnsüchtige Liebe von Narraboth! Abgesehen davon ist es erstaunlich, wie oft der sogenannte Tristan-Akkord in Salome eingesetzt wird. Strauss zitiert Wagner auch sehr deutlich, wenn Salome zum ersten Mal in die Dunkelheit der Zisterne hinunterschaut: Es erklingt es-Moll, ein Verweis auf die Götterdämmerung. Aber nicht nur Wagner, auch Engelbert Humperdinck ist in der Partitur zu finden. Strauss war ja der Uraufführungsdirigent von Hänsel und Gretel in Weimar, er hat das Stück geliebt und man merkt an vielen Stellen, dass es hier eine Beeinflussung gegeben hat. Etwa in dem Moment, in dem Salome auf die Idee kommt, den Kopf zu fordern oder in dem sie das Haupt küsst: Da hören wir denselben Triller in genau der gleichen Orchestrierung, die wir vom Sandmännchen in Hänsel und Gretel kennen. Leider hat Strauss auch Humperdincks Hang zur Überorchestrierung, also zu einem zu breiten und deckend klingenden Orchester, übernommen. In Salome merkt man das noch sehr stark.


Warum aber hat der handwerklich gute und in der Praxis geschulte Dirigent, der Strauss ja war, den Komponisten nicht vor diesem Fehler bewahrt? Er wusste aus dem Opernalltag sehr genau, wie schnell der Orchestergraben zur Klang-Barriere werden kann.

PHILIPPE JORDAN Ich denke, dass er seine Grenzen austesten musste. Es ging Wagner mit dem Holländer ja nicht anders und Strauss hat hier sicherlich noch vieles ausprobiert. Um sich wirklich kennen zu lernen, muss man auch erst einmal die Grenzen überschreiten. Abgesehen davon schlägt eine Komposition mitunter einen Weg ein, den man nicht vorhergesehen oder geplant hat. Dass Salome keine Sieglinde ist und man mit der Rolle anders umgehen muss, das musste Strauss erst im Laufe der Proben zur Uraufführung und in der Folge, als er das Stück dann selbst dirigierte, begreifen. Daher ist es für den Dirigenten geradezu eine Verpflichtung, dynamische Retuschen vorzunehmen und in die Partitur einzugreifen, dazu hat Strauss uns geradezu ermächtigt. Franz von Schuch, der von Strauss auf das Höchste geschätzte Uraufführungsdirigent, demonstrierte dem Komponisten bei der Probe, was passiert, wenn man die notierte Dynamik ungefiltert spielen lässt. Strauss erkannte damals, dass es sich hier eben nicht um eine Wagner-Oper handelt, sondern, dass es letztlich immer – wie er es später selbst ausdrückte – gleichsam wie Mendelssohn’sche Elfenmusik behandelt werden sollte.


Er verhielt sich ja später selbst ironisch zu der Vorgabe, eine 16-Jährige mit Isolden-Stimme zu fordern.

PHILIPPE JORDAN In seinen Briefen an Franz von Schuch forderte er tatsächlich noch eine Sängerin mit »Isolden- Stimme«. Aber umso öfter er das Stück in den verschiedensten Produktionen hörte und dann auch immer wieder selbst dirigierte, merkte er, wie das Werk etwas viel Fragileres und Jüngeres verlangt. Nach wie vor ist die Salome daher eine schwierige Besetzungsfrage: Wie soll man sie anlegen? Je typengerechter man besetzt, desto achtsamer muss man mit dem gewaltigen Orchesterapparat umgehen. Strauss selbst hat ja, umso älter er wurde, immer leichtere Stimmen versucht zu überreden, die Salome zu probieren. So entstanden auch die nunmehr veröffentlichten »Dresdner Retuschen«. Die Strauss Dirigenten, die mit dem Komponisten noch unmittelbar zusammenarbeiteten, wie Clemens Krauss, Fritz Reiner und nicht zuletzt Karl Böhm, kannten die Intentionen des Meisters natürlich genau und wendeten diese ihre ganze Laufbahn lang an. Erst mit Elektra lernte Strauss das Verhältnis zwischen den Sänger- und Sängerinnenstimmen sowie dem Graben besser auszutarieren, indem er den Orchesterklang tiefer setzte und dunkler färbte, wodurch der Gesang sich besser absetzt. Auch der Einsatz von Fortepiano und Fortissimopiano sowie schneller Decrescendi wurde selbstverständlich.


Musikalisch werden Salome und Jochanaan bewusst als Gegensätze charakterisiert. Erstreckt sich das auch auf die Tonarten, die bei diesen Figuren zum Einsatz kommen?

PHILIPPE JORDAN Absolut! Salome bewegt sich eher im cis-Moll- und A-Dur-Segment, das sind sehr helle Kreuztonarten. Jochanaan hat nicht nur C-Dur, sondern auch die dunkleren b-Tonarten, sein erster Einsatz ist zum Beispiel in As-Dur, oftmals hören wir Es-Dur. Es gibt aber auch einen großen stilistischen Unterschied, die Sphäre Jochanaans bringt uns in einen klaren, tonalen Bereich, fast choralhaft. Salome ist das exakte Gegenteil, oftmals leicht, schwebend, grazil, verletzlich.


Und wo liegen Herodes und Herodias im Quintenzirkel?

PHILIPPE JORDAN Ganz allgemein eher im Moll-Sektor, also zum Beispiel d-Moll oder e-Moll, verstärkt aber auch im Bitonalen, wir erleben bei Herodes Ganzton-Skalen wie auch Chromatik. Herodes und Herodias sind sich relativ ähnlich und weniger direkt zuordenbar als die beiden vorhin Genannten.


Das Bitonale und harmonisch Gewagte ist bei Salome ja an sich ein ganz zentrales Element.

PHILIPPE JORDAN Ja, das ist einer der Gründe, warum die Oper damals als so modern empfunden wurde. Selbst wenn Salome eigentlich noch eine tonale Partitur ist, verwendete Strauss viele Dissonanzen und Klangspielereien, schärfte Akkorde, schachtelte mitunter mehrere Tonarten übereinander. Ein einprägsames Beispiel dafür ist der Moment, in dem Salome den Mund des toten Jochanaan küsst: wir hören mehrere Tonarten simultan, die sich von einem hohen Triller (d-Moll) über ein Salome-Motiv (e-Moll) bis zu einem weit darunterliegenden, sehr »schmutzig« klingenden Akkord (cis-Moll mit Dissonanzen) – man empfindet förmlich diesen widerlichen Kuss – erstrecken. Das war eben das Neue, von dem ich vorhin sprach.


Wie bei der nachfolgenden Elektra setzt Strauss ein gewaltig großes Orchester ein. Doch dient dieser umfangreiche Apparat weniger dazu, enorme Lautstärken zu entwickeln als vielmehr zum Evozieren von zusätzlichen Farben. Auch das ist eine Entwicklung, die Strauss aus seinen symphoni- schen Werken übernahm.

PHILIPPE JORDAN Wir haben in Salome eine unglaubliche Palette an Schattierungen und die gesamte Breite an Orchestertechniken. Das lag freilich in der Zeit, wenn wir etwa an Igor Strawinski oder Maurice Ravel denken. Strauss entwirft einen großen atmosphärischen Zauber, man vergegen- wärtige sich die schwüle Abendstimmung, die »orientalische« Färbung, die Klangbilder. Er setzt dafür etwa die Celesta oder Harfen ein, aber auch viele Solo-Streicher, eine reiche Auswahl an unterschiedlichen Blasinstrumenten, vor allem Klarinetten – ein ganzes Bataillon –, auch geteilte Streicher, die zum Teil jeweils unterschiedliche Techniken anwenden: Während die einen trillern, tremoliert eine Gruppe, wiederum andere fügen Pizzicati hinzu. Nicht zuletzt gibt es ein unglaubliches Schlagwerk, unter anderem das Glockenspiel und das sehr wichtige Xylophon. Und Strauss versucht neuartige Klangfarben aus diesen Instrumenten herauszulocken, solche, die es vorher nicht gab. Ein ganz bekannter Moment ist jener, in dem Salome auf die Hinrichtung Jochanaans wartet. In die angespannte Stille setzt Strauss einen seltsamen Ton, gespielt vom Solokontrabass. Ein B, sehr kurz, ungewöhnlich hoch, wird mittels einer seltenen Spieltechnik, bei der die Saite mit Daumen und Zeigefinger festgehalten wird, angerissen. Ein außergewöhnlicher Effekt!


Besonders auffällig ist stets die musikalische Maltechnik von Strauss. Ist die Rede von der Silberschüssel, hört man sie auch. Wenn von den stampfenden Männern erzählt wird, bebildert das Orchester die Worte. Welche Funktion haben diese musikalischen Beschreibungen?

PHILIPPE JORDAN Ja, die angesprochene Silberschüssel ist ein Beckenschlag, der immer erklingt, wenn jemand vom Silber spricht. Es gibt auch lautmalerische Momente, etwa in Bezug auf den Mond, das ist beinahe impressionistisch, ganz nahe an Debussy. Ebenso, wenn es um den Wind geht: Da hört man chromatische Tonleitern. Besonders gut gefällt mir die Stelle, an der Herodes von den Pfauen spricht: Kontrabass-Pizzicati wechseln sich mit der Pauke ab, man sieht förmlich, wie die Vögel stolzieren. Strauss imitiert also musikalisch, oder besser: kommentiert alles. Es gibt bei ihm eine unbändige Freude an der Illustration des Textes, die sich quer durch sein Werk zieht, bis zu seiner letzten Oper Capriccio. Das weist darauf hin, wie eminent wichtig das Wort für ihn als Komponist war. Meiner Meinung nach war der Text sogar Straussʼ Grundmotor, um überhaupt künstlerische Einfälle zu bekommen.


Heben Sie als Dirigent diese musikalischen Bilder hervor oder muss man sich da eher zurückhalten?

PHILIPPE JORDAN Das hängt davon ab. Es gibt Situationen, in denen es sich anbietet, auf ein solches Klangbild hinzuweisen. Gleichzeitig muss man Acht geben, aus lauter Detailverliebtheit nicht das große Ganze aus den Augen zu verlieren.


SALOME
2. (Premiere) / 4. / 8. / 10. / 12. Februar 2023
Musikalische Leitung Philippe Jordan
Inszenierung Cyril Teste
Künstlerische Mitarbeit Céline Gaudier
Bühne Valérie Grall
Kostüme Marie La Rocca
Licht Julien Boizard
Video Mehdi Toutain-Lopez
Video-Livekamera Rémy Nguyen
Choreographie Magdalena Chowaniec
Dramaturgie Sergio Morabito
Mit u.a. Malin Byström / Iain Paterson / Gerhard Siegel / Michaela Schuster / Daniel Jenz / Patricia Nolz