Das Staatsopernorchester: Solofagottist Stepan Turnovsky

"Auf Stehplatz bin ich nie gegangen, ich habe in der Staatsoper gleich mit einem Sitzplatz begonnen – mit einem Sitzplatz im Orchestergraben“, scherzt Stepan Turnovsky auf sein frühes Engagement mit 19 Jahren anspielend. In ein hochmusikalisches Umfeld hineingeboren – der Vater avancierte später unter anderem zum Chefdirigent der Norwegischen Oper – ergab es sich fast automatisch, dass auch Stepan Turnovsky schon als Kind immer deutlicher den Wunsch verspürte, selbst ein Instrument zu erlernen. Die Frage die sich stellte lautete nur: welches? In die engere Auswahl kamen für ihn schließlich nach längerer Prüfung Oboe und Fagott. Als letzte Entscheidungshilfe fungierte im Folgenden ein durchaus praktischer Gedanke: Die ursprünglich aus Prag stammende Familie hatte die damalige tschechische Heimat verlassen und sich in Wien niedergelassen ohne allerdings zu wissen, ob es sich nur um einen Zwischen stopp oder um eine neue dauernde Bleibe handeln würde. „Hier in Wien“, so Turnovsky, „erlernt man natürlich die sogenannte Wiener Oboe, aber was hätte ich mit der Wiener Oboe angefangen, wenn wir nicht in Wien geblieben wären?“ Also wurde es das Fagott, dessen differenzierte Klangfarben ihm ohnehin von Anfangan zugesagt hatten.
Letztlich blieb man in Wien und so studierte er beim berühmten Karl Öhlberger an der Musikhochschule, der heutigen Musikuniversität (an der Turnovsky übrigens, die Tradition weitergebend, heute selbstunterrichtet) und unternahm als Substitut bald erste orchestrale Versuche in der Wiener Staatsoper. Wobei der diesbezügliche „Auftakt“ wenig erfreulich begann: „Wenn ich mich richtig entsinne, stand die Traviata am Spielplan und ich zeichnete mich dadurch aus, dass ich gleich den ersten Einsatz versäumte!“ Offenbar überzeugte Turnovsky in den übrigen Diensten und vor allem im Probespiel (bei dem er sogar durch eine Verkühlung beeinträchtigt war) und wurde schlussendlich Teil des philharmonischen Klangkörpers, dem er mittlerweile 39 Jahre angehört.
Und so kann Stepan Turnovsky viel erzählen. Über Sternstunden mit Carlos Kleiber, unter dessen Leitunger zum Beispiel in der bislang letzten Carmen-Premiere oder in der legendären Rosenkavalier-Serie spielen durfte. Über den Unterschied zwischen Karajans langen, singen den Legatobögen und Harnoncourts Deklamationsstil, bei dem jeder Bindebogen eine eigene Aussage erhält. Über Karl Böhm, der zwar ausgezeichnet musizierte, aber vorallem die Jungen im Graben und auf der Bühne gerne drangsalierte, über wunderbare Liebestränke mit Pavarotti. Aber auch über ganz alltägliche Dinge, wie zum Beispiel das Mundstückproblem der Fagottisten: Denn, um es einmal aus berufenem Munde erklärt zu bekommen – Mundstück ist erstens nicht gleich Mundstück, muss zweitens vom Fagottisten selbst hergestellt, sprich geschnitzt werden und erfordert drittens Erfahrung. „Es dauert seine Zeit, bis man weiß, was für ein Mundstück man für welches Werk, für welchen Komponisten, für welche Wetterlage, für welche Akustik schnitzen muss. Mozart verträgt beispielsweise einen gesunden Ton und bedarf daher eines anderen Mundstücks als Wagner, bei dem man stellenweise sehr leise spielen sollte.“ Interessant ist auch zu erfahren, dass ein Stil oder Komponist noch nicht automatisch etwas über die Herausforderungen an den Spieler aussagt. So ist eine Zauberflöte, ein Don Giovanni, eine Entführung angenehmer zu spielen als eine Così oder ein Figaro, die technisch anspruchsvolle Passagen enthalten. Wobei natürlich „nichts leicht ist, da alles, was das Publikum zu hören bekommt, eine hohe Qualität aufweisen sollte.“
Und wer sich als Zuhörer vornimmt, einmal weniger auf die Bühne und dafür mehr in den Orchestergraben zu lauschen, wird feststellen, dass durch das Zusammenspiel der Fagotte mit anderen Instrumentengruppen, im Otello oder Don Carlo etwa mit der Cellogruppe, bei Mozart eher mit den ersten Geigen, ganz bestimmte Klangmischungen entstehen. Und dann wird der Hörer verstehen, warum Stepan Turnovsky den Fagottklang gerne als Farbe im akustischen Gemälde eines Opernabends oder eines Konzertes bezeichnet.

Vermag nun der Orchestermusiker, Kammermusiker und Fagottprofessor Stepan Turnovsky außerhalb seiner Dienstzeiten noch freiwillig Konzerte- oder Opernvorstellungen anzuhören, oder ist irgendwann ein Musik-Sättigungsgrad erreicht? Als Antwort kommt ein überzeugendes „ja“. Denn wenn er sie zu Hause via Fernsehen beziehungsweise Radio oder live im Zuschauerraum Musik zu Gemüte führt, kann er, anders als im Graben oder auf der Bühne, „endlich das Ganze wahrnehmen ohne sich auf bestimmte Einzelstimmen konzentrieren zu müssen.“

Andreas Láng