Das Staatsopernorchester: Solo-Oboist Harald Hörth
Was fasziniert an einem Musiker? Natürlich: Da wären Spiel und Technik, Musikalität selbstverständlich, das gewisse Etwas, die Disziplin vielleicht, das Gespür, Einfühlungsvermögen, Charisma. Doch ganz abgesehen von all dem: Immer wieder ist es verblüffend, wenn man einen gestandenen Künstler trifft, der seit Jahrzehnten im Berufsleben steht und dennoch, nach wie vor, voller Begeisterung und Hingabe, mit akribischem Interesse von seiner Profession sprechen kann. Harald Hörth etwa, seit dem 14. Lebensjahr seinem Instrument verschworen, versteht sich aufs Begeistert-Sein und Begeistert-Machen. Wenn er über Rohrblätter und Kammermusik, Sängerinnen und Sänger, Oper und Konzert spricht, wird das spürbar, was das etwas überstrapazierte Wort Berufung impliziert. Berufung: ohne Wenn und Aber, ohne Ablenkungen. Wie es begonnen hat? Diesmal nicht primär mit einem Elternhaus, das den Sohn an die Musik heranführte, sondern mit einem älteren Bruder. Dieser begeisterte sich früh für die Musik, fand ein Akkordeon, an dem er zunächst autodidaktisch lernte und brachte es bald zum Kapellmeister der heimischen Waldviertler Musikkapelle, dann zum Musiklehrer und Musikschuldirektor. Am Weg dorthin war ihm ein Versuchskaninchen, wie es der jüngere Bruder abgab, gerade recht. Also führte er ihn an. „Und er hat sich pädagogisch ausgetobt“, erzählt Hörth heute. „Ich durfte einiges ausprobieren, ausgehend von der Blockflöte über Trompete, Klavier, Horn, Klarinette und Orgel. Mit Erfolg! Denn schon bald war ich der jüngste Kirchenorganist Niederösterreichs.“ Die breite Ausbildung findet Hörth auch heute noch gut und sinnvoll: „Vor allem das Klavierspiel vermittelt einem eine profunde Sicht in der Harmonik, die Spezialisierung kann ja später kommen“. Mit 14 schließlich trat er in der Wiener Musikhochschule an und wurde in die Oboenklasse genommen. Oboe und er: eine Liebesgeschichte vom ersten Moment an? „Nein“, meint er. „Mit 14 war ich in das Instrument nicht wirklich verliebt, aber ich wusste, dass der Markt nicht so überschwemmt ist wie zum Beispiel im Falle der Klarinette. “Durchaus mit Vernunft und Weitblick geht er die Sache also an, wählt auch noch ein Lehramtsstudium, um den Eltern zuliebe auch etwas „Ordentliches und Sicheres“ zu studieren. Schnell zeigen sich die ersten Erfolge und ebenso rasch wächst die Hingabe an das Instrument. Mit 16 spielt er in den ersten Ensembles, mit 21 gewinnt er das erste Probespiel beim RSO-Wien. Mit dieser Orchesterstelle lernt er nicht nur das Leben im professionellen Umfeld, sondern auch die zeitgenössische Literatur kennen. Als später eine Stelle bei den Wiener Symphonikern frei wird, tritt er an – und wird Solo-Oboist des Klangkörpers. Zehn Jahre lang – „eine wunderbare Zeit“ – ist er Mitglied der Symphoniker, lernt das große Konzert-Repertoire kennen und ist mit ganzem Herzen im Orchester verankert. Dann aber ... wird eine Stelle im Staatsopern-Orchester frei und Hörth stellt sich der nächsten Herausforderung. Also noch einmal ein Probespiel, noch einmal ein Sieg, und noch einmal das Eintauchen in eine andere Welt: „Es ist am Beginn schon anstrengend, Vier- oder Fünstunden-Abende zu spielen, wenn man normale Konzertprogramme mit einer Dauer von zwei Stunden gewohnt ist, dazu das große Repertoire der Staatsoper – da braucht man Jahre, um wirklich durchzukommen.“ Abgesehen davon, so Hörth, sind Konzertpodium und Orchestergraben unterschiedliche Welten. „Im Konzert ist man Hauptdarsteller, in der Oper begleitet man, folgt den Sängern und nimmt sich zurück.“ Das aber führt zu einer Reaktionsschnelle und Beweglich- keit, die ihresgleichen sucht: „Man aktiviert alle Sensoren, um schnell auf das, was auf der Bühne passiert, eingehen zu können und wird ungemein anpassungsfähig.“ Ein Aspekt, der die Vorzüge der Wiener Oboe, die Hörth selbstverständlich spielt, ausnützt. „Die Wiener Oboe ist in unserem Orchester, in dem die Tradition des Wiener Klanges hochgehalten wird, unverzichtbar. Sie überzeugt am Konzertpodium mit ihrem besonderen Klang und der Bandbreite unterschiedlicher Farben und besitzt eine große dynamische Flexibilität, gerade im Piano- und Pianissimo-Bereich, was dem Begleiten von Sängern sehr entgegen kommt.“ Und die Sängerinnen und Sänger, sie sind für ihn das Zentrum des Interesses, noch immer schwärmt er etwa von seinem ersten Netrebko-Erlebnis: „Ohne zu wissen, wer da im Liebestrank sang, merkte ich, dass es eine außergewöhnliche Stimme ist, ein außergewöhnlicher musikalischer Ausdruck! Für solche Momente lebt man!“
Sein Wissen um Konzert- und Opernliteratur, um das Spielen im Ensemble gibt er an der Musikuniversität an die nächste Generation weiter. Erst kürzlich gewann Sebastian Breit, einer seiner Schüler, das Staatsopern-Orchester-Vorspiel. „Ich war schon stolz“, erzählt Hörth. „Denn er hat eine seltene Begabung, er ist einer, der in der Musik lebt und vieles versteht, bevor man es ausgesprochen hat. Ich dachte mir im Unterricht immer wieder: Da bist du als Lehrer auch gefordert und kannst deine ganze künstlerische Erfahrung, die du im Laufe der Jahre mit den unterschiedlichsten Dirigenten und Künst- lern gesammelt hast, einbringen“. Und vielleicht, meint Hörth nachdenklich, lässt sich die Tradition eines Klangkörpers genau so definieren: Dass man als Lehrer das weitergibt, was man von seinen Lehrern gelernt hat, deren Vorgänger es direkt von den Komponisten gehört haben. „Mahler, Strauss, Bruckner, Brahms, ... sie alle haben nicht nur unser Orchester beeinflusst, sondern wurden ihrerseits von unserem Klang inspiriert. Das bedeutet: Das was von Generation zu Generation weitergegeben wird, ist gewissermaßen original und ganz persönlich. Das pflegen wir – und das muss gepflegt werden – ganz im Sinne einer Vielfalt in der internationalen Orchesterwelt. Denn gerade heute, wo es bei vielen Orchestern zu einer Vereinheitlichung kommt, haben wir einen Klang, der gewachsen ist und ganz eigenständig und besonders ist. Und das soll auch in Zukunft so bleiben!"
Oliver Láng