Das Staatsopernorchester: Primgeiger Kirill Kobantschenko
Eigentlich war es von Anfang an klar. Beide Eltern Musiker, beide durchaus auch gewillt und engagiert, ihren Sohn in ihre Fußstapfen treten zu lassen. Was „damals in der Sowjetunion so üblich war“, wie Kirill Kobantschenko, Primgeiger im Staatsopernorchester und bei den Wiener Philharmonikern, erzählt. „Wenn die Eltern Musiker waren, dann schaute man drauf, dass auch das Kind
diese Laufbahn einschlägt. Zumindest versuchte man es…“ Eine gewisse Prädestination für seinen Beruf hatte es also gegeben – doch wäre diese nichts, wenn nicht Entscheidendes dazugekommen wäre: Interesse, Talent und Disziplin. Interesse: Das zeigte sich schon in sehr frühen Jahren, als Kobantschenko ein Spielzeug-Gewehr einem besseren Verwendungszweck zuführte, es nämlich unter das Kinn klemmte und eine Geige markierte. Damals war er gerade erst viereinhalb Jahre alt, und lächelnd berichtet er heute von dieses erste „Musizieren“ dokumentierenden Fotos, die seine Mutter hütet. Einsichtig beendete man bald diesen Zustand und besorgte dem Kind ein echtes Instrument, das fortan zu seinem Begleiter mutierte. Ausgelöst wurde diese Musizierfreude durch einen ihm sehr früh überlassenen ersten Schallplattenspieler, auf dem er die Vier Jahreszeiten von Vivaldi rauf und runter spielte. Kobantschenko lernte bei seinem Vater, einem Bratschisten (über den noch zu reden sein wird) und vor allem bei einem damals sehr populären Geigenpädagogen für Kinder. Und so wurde das Talent des Nachwuchsgeigers systematisch gefordert und gefördert und er auf die richtigen musikalischen Gleise gebracht. Gelehrt wurde natürlich die berühmte russische Geigenschule mit ihren hohen Ansprüchen an das technische Vermögen – und mit ihren ebenso hohen Anforderungen an die Disziplin. Dass diese Disziplin bereits früh erworben wurde, kam dem Geiger auch viele viele Jahre später zugute: als er nämlich vor dem Probespiel fürs Staatsopernorchester stand, übte er besonders konzentriert und engagiert, an die sieben Stunden pro Tag.
Doch wie gelang der Übergang vom russischen zum Wiener Geigenspiel? Nun, die Familie wanderte aus und Kobantschenko fing in frühen Jahren an zu tingeln, wie man so schön sagt. Orchestertingeln gewissermaßen, und so lernte er zwischen dem Opernballorchester, diversen Strauß-Kapellen, Kammermusik und anderen Klangkörpern den Wienerischen Zugang zur Musik kennen. „Wenn man beim Musizieren gut zuhört, dann merkt man bald, wie hier der Ton ist, wie in dieser Stadt phrasiert, intoniert wird, wie der Rhythmus ist. Und dann muss man versuchen, Teil dieser Klanggebung und des Wiener Grooves zu werden.“ Nicht zu vergessen freilich die Talenteschmiede eines Boris Kuschnir, bei dem er in Wien studierte. Probespiel also: Beim ersten Antreten wurde er Zweiter, was ihn aber aufgrund seines damals sehr jungen Alters nicht in größere Verzweiflung stürzte, sondern eher in seinen Absichten bestärkte. Beim zweiten Mal klappte es dann, wobei Kobantschenko gesteht, dass der Druck schon etwas größer war. Denn inzwischen hatte er das Orchester aus der Innensicht gut kennengelernt, sprich: er hatte immer wieder substituiert und sogar einen Dreimonats-Vertrag erhalten. „Ich bin auf den Geschmack gekommen, kannte Kollegen, aber wirklich dazugehört hab ich noch nicht.“ An das Gefühl bei der Verkündung seiner Aufnahme ins Orchester kann er sich noch bestens erinnern: „Ein Feuerwerk der Gefühle. Ich konnte es nicht glauben und innerlich sind mir die Tränen heruntergeronnen!“ Seither sind 15 Jahre vergangen – und Kobantschenko ist vom Orchester und seinem Leben im Orchester hingerissen wie am ersten Tag. „Das Schönste ist, dass es nicht nur ein wunderbarer Beruf ist, sondern dass es mir immer noch so große Freude macht zu musizieren. In diesem Haus, in diesem Klangkörper! Kein anderes Opernhaus hat ein so breites Repertoire und ein solches Angebot an Werken. Und dazu noch die philharmonischen Konzerte!“
Doch damit nicht genug. Dass Kobantschenkos Vater nicht nur Bratschist, sondern einer der wenigen Jazzmusiker der Sowjetunion war (er gründete die erste Abteilung für Jazz- und Popularmusik an einem Musikkolleg in seinem Land), hat sich im Geschmack und der Musikannäherung seines Sohnes niedergeschlagen. Nicht nur Klassik, sondern die gesamte Breite der Stile interessieren ihn, von elektronischer Musik über Pop bis eben auch Jazz. „Ich bin mit wahnsinnig viel Musik aufgewachsen: das ist eines von den vielen Dingen, die meine Eltern einfach großartig gemacht haben. Sie haben Unterschiedlichstes gehört – und ich konnte dadurch sehr viel kennengelernen.“ Diese Neugierde erhält er sich bis heute, denn laufend ist er auf der Suche nach neuen Klängen und wenig bekanntem Repertoire für sein Ensemble Plattform K+K Vienna – und seine Tätigkeit als DJ ist ohnedies Gesprächsstoff
vieler Musikinteressierter ...
Wer aber glaubt, dass damit der Tag bereits übervoll wäre, irrt. Es findet sich immer wieder noch Zeit: Unbedingt für seine Familie, fürs Kochen, für ein weitgefächertes Leseprogramm (aktuell zwischen Karl Löbls Nach der Premiere und vielen Sportzeitschriften), aber auch für Sport an sich. Boxen etwa,„weil es die Reaktion steigert, der Konzentration hilft und überhaupt faszinierend ist.“ Ganz abgesehen von den Endorphinen, die nach der ersten harten Viertelstunde den Körper fluten. Auch diese Glücksgefühle braucht er: „Denn für ein gutes Musizieren benötigt man auch – ganz wichtig! – ein seelisches Gleichgewicht!“
Oliver Láng