Das Staatsopernorchester: Flötistin Karin Bonelli
Eines war von Anfang an klar. Sie wollte zur „Musi“. Die Musi? Das ist in diesem Fall die heimische (oberösterreichische) Musikkapelle, die schon Ausgangspunkt vieler Karrieren geworden war und das heimliche Bläser-Reservoir der großen und kleinen österreichischen Orchester ist. Und fragte man sie dort, was sie später gerne einmal werden möchte, war die Antwort klar: Wiener Philharmonikerin! „Natürlich“, erzählt Karin Bonelli heute, habe man damals gelacht. Aber so ganz von der Hand zu weisen war es freilich nicht. Denn über ihr lag eine Art „Familienfluch“, wie sie es nennt. Die Mutter Flötistin, der Vater Flötist, der Halbbruder Flötist, der Onkel ebenfalls. Vielleicht gerade darum probierte sie zuerst Geige und Klavier aus, um dann doch dort zu landen, wo die Familie schon wartete: bei der Flöte. „Meine Mutter wollte das allerdings anfangs gar nicht“, berichtet Bonelli, „und hat sich dagegen gewehrt. Ich habe aber nicht locker gelassen und gemeint: Wenn sie ihren Schülern zeigt, wie man spielt, dann steht mir, als Tochter, das doch umso mehr zu!“ Ein ausreichend überzeugendes Argument, vor allem in Verbindung mit der Hartnäckigkeit, mit der der familiäre Unterricht eingefordert wurde. Also bekam sie ihre Flötenstunden …
Mit 13 folgte das Konservatorium in Linz, dann unterschiedliche philharmonische Lehrer von Wolfgang Schulz bis Günter Voglmayr und Karl- Heinz Schütz, dazwischen ein Studienjahr in Lyon bei Philippe Bernold. Wobei im Falle von Günter Voglmayr ein gleich mehrfacher besonderer Bezug bestand. Dieser ist nämlich seinerseits Schüler von Bonellis Vater Helmut Trawöger gewesen und wurde später zum Mentor der jungen Flötistin, „der Ansprechpartner für mich in allen musikalischen Belangen“ Dazu kommt auch noch, dass Bonelli seine Nachfolgerin im Staatsopernorchester wurde und heute auf einem seiner Instrumente spielt. Obgleich die Flötistin vor ihrem Engagement nie in der Wiener Staatsoper oder bei den Wiener Philharmonikern substituiert hatte, lernte sie den Wiener Klang über ihre Lehrer, die „fast alle aus diesem Dunstkreis“ kamen, früh kennen. „Daher war meine Klangvorstellung immer schon sehr ähnlich zu dem, was hier an diesem Haus geschätzt wird“, meint sie. „Und wenn man im Orchester spielt und offene Ohren hat, dann erkennt man die Charakteristika sehr schnell. Diesen wunderschönen weichen Streicherklang etwa – und man versucht fast automatisch, sich farblich dem anzunähern und zu entsprechen.“
2012 war es soweit: Karin Bonelli trat zum Staatsopernorchester-Probespiel an und gewann. „Es war eine interessante Situation“, erinnert sie sich. „Bei meinen anderen Probespielen, wie zum Beispiel bei den Wiener Symphonikern oder beim Concertgebouw-Orchester, war ich immer sehr nervös, hatte die Nacht zuvor nicht geschlafen und war extrem angespannt. Diesmal jedoch hat alles gepasst, ich war gut ausgeruht, hatte eine entspannte Nacht und bin fröhlich aufgewacht. Der Tag hat also schon gut begonnen!“ Er begann gut und wurde noch besser – und Bonelli die erste weibliche Bläserin des Orchesters. Dann allerdings folgte das schwierige Anfangsjahr, in dem die junge Musikerin das gewaltige Repertoire der Wiener Staatsoper und zusätzlich noch jenes der Wiener Philharmoniker zu erlernen und bewältigen hatte. Also kopierte sie sich im Musikarchiv der Staatsoper bereits im August ein großes Paket an Noten und lernte eifrig die einzelnen Werke – an die 40 Opern alleine im ersten Jahr. Die Feuertaufe war Arabella, die sie ohne Orchesterprobe an ihrem zweiten Spieltag absolvierte. „Am Anfang fragt man sich schon, wie man in nur einer Woche vier neue Opern erlernen und spielen soll“, gesteht sie. Hier kam Bonelli übrigens etwas zugute, was sie bei der obengenannten Musi gelernt hatte – das schnelle und flexible Reagieren wie auch das konzentrierte Zuhören auf das Spiel der anderen Musiker. In dieser nicht ganz einfachen Anfangszeit standen ihr, wie sie heute dankbar erzählt, erfahrene Kollegen hilfsbereit zur Seite, dazu kamen neben dem privaten Üben in der kargen Freizeit auch viele Stunden, in denen sie sich die vorzubereitenden Opern auf Aufnahmen anhörte. „Großen Respekt hatte ich zum Beispiel vor dem Rosenkavalier, doch man wächst in die Sachen hinein – und heute ist mir eine solche Herausforderung lieber als Werke, in denen die Flöten weniger zu tun haben.“ Natürlich liegen ihr auch ganz besonders Stücke wie die Rossini’schen Opern am Herzen, da ihr Instrument dort stark gefordert ist und die Piccolo-Flöte, deren Part sie auch übernimmt, solistisch oftmals tätig wird.
Wann immer es der Instrumentalpart möglich macht, erlaubt sie sich den Blick auf die Bühne und zu den Sängerinnen und Sängern. „Gesang hat mich immer schon interessiert und mein Lehrer in Frankreich hat immer darauf hingewiesen, wie viel wir Bläser von Sängern lernen können – was das Atmen oder das natürliche Phrasieren betrifft.“ Um sich also diesbezüglich weiterzubilden, nimmt Bonelli seit einiger Zeit sogar Gesangsstunden – die auch einen Zusatzeffekt haben: „Diese Stunden sind gleichzeitig so etwas wie ein Ausgleich, weil man beim Singen wahnsinnig auf den eigenen Körper fokussiert sein muss und die Gedanken daher nicht abschweifen dürfen. Es ist also eine Entspannung, weil man vom Alltag abgelenkt ist.“ Und so ist auch sie dem Opernbetrieb mit Haut und Haar verfallen: „Eigentlich hatte ich ja früher keine so enge Beziehung zum Musiktheater, aber seit ich hier spiele, kann ich mir das Leben gar nicht mehr ohne Oper vorstellen …“
Oliver Láng