Das Staatsopernorchester: Fagottist Harald Müller

Manchmal ist es nicht das Elternhaus, sondern ein Schwager. Vor allem, wenn der Schwager Michael Werba heißt und gewissermaßen zur philharmonischen Grundausstattung gehört. Im Falle des Fagottisten Harald Müller jedenfalls führte der Weg zum Berufsmusiker beziehungsweise zur musikalischen Berufung über diesen, den späteren Kollegen.

Doch von Anfang an: Aus einem musikalischen, aber nicht profi-musikalischen Haushalt kommend tourte Müller im Kindesalter zunächst als Wiener Sängerknabe durch die Welt, erhielt parallel den ersten Geigenunterricht, der für ihn allerdings noch nicht die Erfüllung aller Wünsche bedeutete. Also sattelte er – und nun kommt der philharmonische Fagottist Michael Werba als Schwager und Einflussnehmer ins Spiel – auf Fagott um und trat als 13jähriger zur Aufnahmeprüfung bei einer weiteren Fagott-Legende, nämlich Karl Öhlberger an. „Bis dahin hatte ich noch nie Fagott gespielt“, erinnert sich Müller. „Vor versammelter Klasse prüfte mich Öhlberger in Bezug auf Rhythmus und musikalisches Gehör. Er schlug am Klavier eine Taste an, deutete auf eine andere – und ich musste den Ton treffen.“ Wobei, lächelt Müller, das für einen ehemaligen Sängerknaben keine besondere Hürde darstellte. Er bestand also mit Leichtigkeit und fing mit dem entsprechenden Studium an: „Mit 13, das war damals relativ früh. Es gab ja noch kein Quart- oder Quintfagotte für Kinder, das bedeutet, dass ich auf einem ganz normalen Erwachseneninstrument zu studieren begonnen habe.“ Wenig später besuchte er das Wiener Musikgymnasium – und so kristallisierte sich der Berufswunsch des Musikers allmählich deutlich heraus. Nein, einen Plan B habe er niemals gehabt, erzählt er, durch den Weg von den Sängerknaben zum Fagott und ins Musikgymnasium wäre vieles mehr oder weniger logisch und „natürlich“ passiert – und der Berufswunsch „Musiker“ bald festgestanden.

Zum eigentlichen Studium und zum Üben kamen sommerliche Orchestercamps und Kammermusikkurse hinzu, ein großes Anliegen, wie Müller erzählt. „Ich wollte möglichst viel mitbekommen und habe mitunter auch den ganzen Sommer durchgearbeitet.“ Und das Üben? „Das hat halt einfach dazugehört“, schmunzelt der Fagottist, der den Philharmoniker Dietmar Zeman als einen wichtigen Lehrer nennt. Schon sehr bald nach der Matura gewann Müller, nach einiger Substituier-Erfahrung im Orchester, das Probespiel fürs Staatsopernorchester. Das Substituieren übrigens war eine wichtige Wegmarke in seiner Ausbildung: „Das ist schon etwas anderes als das Üben von Etüden! Da lernt man die echte Praxis kennen.“ Wie aber ist es, wenn man sich als 20jähriger seinen beruflichen Lebenstraum erfüllt und gewissermaßen am Ziel angekommen ist? „Darüber“, meint Müller, „habe ich nicht viel nachgedacht. Das war kein großes Thema für mich – und schließlich hatte ich genug zu tun.“ Genug zu tun bedeutet, dass er bereits zehn Tage nach seinem Dienstantritt zu einer siebenwöchigen Gastspielreise nach Japan aufbrach. „Da kommt man nicht zum Nachdenken!“, lacht Müller.

Die nächsten Jahre waren arbeitsintensiv und anstrengend. Galt es doch, das gesamte Repertoire des Hauses zu erlernen: „Es ist viel learning by doing. Und ich habe mir viele Aufnahmen angehört und die Noten dazu gelesen, um etwa Übergänge zu lernen. Das ist eine Schule, die jeder Orchestermusiker durchmachen muss.“ Ebenso zu erlernen ist, sich in den Orchesterklang einzufügen und Teil des Ganzen zu werden. „Man muss in der jeweiligen Situation einfach fühlen, ob man gerade mehr oder weniger wichtig ist, ob man eine führende Stimme hat oder begleitet.“ Vor allem aber heißt es, nicht nur auf die Sänger zu hören, sondern auch auf die Kollegen und so gemeinsam zu musizieren. „Wenn das Fagott etwa ein gemeinsames Solo mit der Oboe hat, darf es nicht nach Fagott plus Oboe klingen, sondern wir müssen zusammen ein neues Instrument kreieren, das „Fagottoboe“ oder „Oboenfagott“ heißt. Ein Instrument, das einen gemeinsamen, neuen Klang hat“, meint Müller. Die Abstimmung der einzelnen Musiker erfolgt im Repertoirebetrieb ganz automatisch während des Musizierens, schließlich kenne man einander ja gut und sei aufeinander im wahrsten Sinne des Wortes „eingespielt.“
Dieses „Aufeinander-eingespielt-Sein“ ist nicht nur eine der großen Freuden, sondern auch eine der besonderen Herausforderungen im Orchesteralltag, weiß Müller zu berichten. Bei Mozart zum Beispiel merke man zum Teil den Einfluss eines Nikolaus Harnoncourt deutlich. „Manche Kollegen vertreten seine Ansichten stärker, andere weniger, da heißt es, in Phrasierung und Artikulation eine gemeinsame Linie zu finden.“ Eine gemeinsame Linie zu finden ist darüber hinaus natürlich auch mit den Sängern: gerade darum bevorzugt Müller die in der Wiener Staatsoper gängige Orchesteraufstellung mit seitlich angeordneten Holzbläsern. „Sitzt man hingegen, wie in einem Konzert, genau gegenüber vom Dirigenten, dann sieht man nicht auf die Bühne und kann viel schwerer auf das, was auf der Bühne passiert, reagieren.“ Apropos Dirigent: Was erwartet er sich von einem Orchesterleiter im Staatsopern-Alltag? „Dass er die Qualitäten eines guten Kapellmeisters hat“, definiert Müller. „Dass neben einer Interpretation vor allem auch die Koordination stimmt und er dafür sorgt, dass der Abend als solcher ,funktioniert‘.“ Dass das Funktionieren freilich nur die Grundvoraussetzung für die besonders kostbaren Momente, die Sternstunden, darstellt, ist klar. Diese allerdings sind unberechenbar: „Manchmal passieren nicht nur bei Premieren und anderen besonderen Abenden, sondern auch in ganz normalen Vorstellungen Augenblicke, in denen man sich – selbst nach vielen Jahren Erfahrung – denkt: „Ah! Unglaublich!“ Spricht er mit leuchtenden Augen – und verschwindet in die Abendvorstellung…