Das Staatsopernorchester: Der Geiger Benjamin Morrison
Geht man in die Oper oder ins Konzert, „sticht“ einem zumeist nach ein paar Augenblicken etwas ins Ohr. Ein besonderes Stilelement der Aufführung, eine besondere Klang-Eigenart. Was aber fällt einem professionellen, herausragenden Geiger als erstes auf, wenn er einen Kollegen hört? „Ich merke gleich, was der Musikerin oder dem Musiker wichtig ist. Ist er einer, der großen Wert auf eine gute Technik legt? Oder einer, der mit einem besonders leidenschaftlichen Ausdruck spielt?“ Wobei, Benjamin Morrison kein einfaches Entweder-Oder zulassen möchte, sondern von einem Musiker beides einfordert. Den Ausdruck und die Technik, die Leidenschaft und die Beherrschung des Instruments. Denn: „Nur wenn viele Facetten zusammenkommen, kann es ein außergewöhnlicher Abend werden!“ Im Detail: Die Technik ist wichtig, um überhaupt einmal die Basis für eine erfüllende Interpretation zu legen. „Um frei und ohne Sorgen spielen zu können, braucht es eine entsprechende Sicherheit“, so Morrison. „Und wenn ein Geiger zu oft danebengreift, dann stört das einfach die musikalische Aussage.“ Wenn aber der Ausdruck fehlt, dann geht die Interpretation nicht ans Herz. Und das, so bekräftigt Morrison, ist ja überhaupt das Wichtigste an der Musik. Das Herz, die Empathie.
Gibt es Tricks, wie man eine Wiedergabe so gestalten kann, dass sie möglichst direkt ans Herz geht? Ohne Umwege und Hürden? „Ganz einfach: Man muss ehrlich sein und im Augenblick genau das sein, was man spielt.“ Also keine Fassade, kein So-tun-als-Ob, sondern wirklich am Punkt bleiben.
Ist das aber im Alltag so einfach umzusetzen? „ Ja,“ bekräftigt Morrison offenen Blickes, zählt doch gerade dieses Im-Augenblick-Sein zum Schönsten seines Berufes. „Es geht nicht um Vergangenheit oder Zukunft, sondern um den jetzigen Moment des Musizierens, einen Moment, in dem ich absolut glücklich bin. Was kann die Musik doch alles! Zum Beispiel in der Oper: Man durchlebt nicht nur das Glück, sondern auch das Leid und die Wut einzelner Figuren und fragt sich: Wie kann Leid so berührend klingen? Jedenfalls aber ist man, auch als Orchestermusiker, ganz der Charakter, der gerade am Zug ist.“ Ein nicht nur erfüllendes, sondern auch gefühlstechnisch reinigendes Phänomen …
Spricht der gebürtige Neuseeländer Benjamin Morrison über Musik, dann kommen auch Bilder ins Spiel. „Ich verbinde die Musik mitunter mit cineastischen Vorstellungen, mit einer Landschaft in Großaufnahme oder einem intimen Gespräch zwischen zwei Menschen. Oder einfach mit einer Emotion.“ Das wirklich Phänomenale an der Musik sei aber, meint der Geiger, die praktisch schrankenlose Vermittlung ihrer Inhalte. „Mit dieser universellen Sprache kann ich das, was ich fühle, problemlos weitergeben und erzählen. Jeder versteht es – egal, ob man die harmonischen Finessen eines Stückes erkennt oder nicht –, die Hauptsache, die Aussage ist unmittelbar.
Diese Unmittelbarkeit war es auch, die ihn früh fasziniert hat. Mit vier erhielt er seine erste Violine, übte mit mitunter mehr, mitunter weniger Begeisterung, stand mit zehn Jahren als Solist mit Orchester auf der Bühne: „Wir spielten das berühmte Adagio von Tomaso Albinoni und ich empfand plötzlich eine mitreißende Emotion, die mich erfüllt hat – und die sich auch auf das Publikum übertrug. Wenig später entdeckte er die Kammermusik für sich und das Glück, mit Gleichgesinnten zu musizieren. Ab da war es um ihn geschehen – und Morrison ging den Weg des Solisten. Wettbewerbe sonder Zahl wurden gewonnen, Begabtenstipendien folgten. Nach einigen Zwischenstationen – unter anderem an der Wiener Volksoper – gewann er das Probespiel des Staatsopernorchesters, war in der Sekundgeigergruppe und entschied vor Kurzem ein weiteres Probespiel – als Primgeiger – für sich.
Wo aber führt einen der Weg noch hin, wenn man schon so jung so weit gekommen ist? „Man bleibt nie stehen, solange man offenen Blicks ist,“ meint der Geiger. „Und Interpretationen verändern sich, werden besser, reifer.“ Wird er dabei von anderen, zum Beispiel Solisten, die mit den Wiener Philharmonikern auftreten, beeinflusst? „Eine gute Frage“, lächelt Morrison, „denn ich glaube, dass wir alle auf das reagieren, was wir erleben und hören. Es gibt ja ganz wenig, das wirklich ganz aus uns kommt, ohne jeden Einfluss von außen. Bewusst oder unbewusst nehmen wir Impressionen auf, verändern und verarbeiten sie im Sinne einer Evolution und lassen sie in unser Spiel einfließen. Und das ist gut so!“ Als Beispiel nennt er den Einfluss des Orchesters auf sein persönliches Spiel. „In den letzten Jahren habe ich unglaublich viel über Mozart gelernt, wie man seine Werke phrasiert, wie man sie spielt. Mich umgeben ja großartige Musiker im Orchester, die viel mehr Erfahrung besitzen und eine längere Entwicklung durchgemacht haben. Daher schätze und respektiere ich ihre Meinung – und nehme ihren Ratschlag gerne auf.“
Mit Mozart beendet er schließlich auch das Gespräch: dessen Briefe liegen nämlich aktuell auf seinem Nachtkastl. „Es ist doch faszinierend, mit wieviel Witz er schreibt, und anderes rührt mich aufgrund seiner Unschuld zum Weinen. Und dieses Wissen bringt mich in meinem Mozart- Spielen wieder ein Stück weiter …“
Oliver Láng