Das Staatsopernorchester

In die Musik ist er „eher hineingerutscht“. Keine außergewöhnliche familiäre Prägung also, kein stundenlanges Üben seit dem Kindergarten, kein genau kalkulierter Plan von Anfang an. Sondern: hineingerutscht, beim zweiten Anlauf. Der erste Versuch war die Blockflöte, ein Instrument, mit dem Wolfgang Härtel es ein Jahr lang „ehrlich“ versucht hatte, um dann zu resignieren. Doch dann. Dann besuchte er ein Konzert der Niederösterreichischen Tonkünstler, betrachtete in der Pause die zurückgelassenen Instrumente und deutete auf die Frage – so erzählt es jedenfalls die Familienlegende – welches ihn interessierte, auf das Cello. Und schon war es passiert, war die Richtung vorgegeben. „Zum Glück kam ich zu einer jungen, sehr engagierten Lehrerin, die sogar ihre Freizeit für ihre Schüler opferte“, erzählt Härtel heute, „und da sie mir Talent attestierte und mir der Unterricht Spaß machte, blieb ich beim Cello“. Später stieg er in den sogenannten „Geigenchor“ ein, ein Kammerorchester des Konservatoriums und entdeckte neben der Musik das „Drumherum“ für sich. „Natürlich war das Musizieren schön, aber auch das Gemeinschaftliche, die Proben, das Arbeiten in der Gruppe.“

Doch war der Berufswunsch Cellist bis dahin noch nicht in Stein gemeißelt, wirklich entschieden hatte sich Wolfgang Härtel erst ein paar Jahre später, als er in die Klasse des legendären Philharmonikers Wolfgang Herzer kam und auch als Musiker reüssieren konnte. Der Unterricht in der Herzer-Klasse war freilich legendär, wie eben der Lehrer auch. „Es gab praktisch nie Einzelstunden, sondern man spielte immer den anderen Studenten vor, mit anderen Worten: eine Art Konzertsituation. Es konnte dabei durchaus sein, dass Professor Herzer einen mit den Worten ‚das geht viel besser‘ fortscheuchte und einen anderen Schüler dieselbe Stelle spielen ließ. Das war vielleicht im Moment hart, weckte allerdings den Ehrgeiz und man versuchte beim nächsten Mal eben besser zu sein.“ Vor allem aber war Herzer als genauer Kenner des philharmonischen Klanges und des Wiener Anforderungsprofils die Cello-Kaderschmiede mindestens einer Generation. „Er sagte einem, wie man in einem Probespiel die erforderlichen Orchester-Stellen, die neben den solistischen Werken gefordert werden, zu spielen hat. Und so konnten wir Schüler ein Gespür dafür entwickeln, wie in einem Orchester zu spielen ist: wo man besonders auf die Kollegen hören muss, wo man auf die Sänger achten muss und so weiter“.

Bevor es aber die Wiener Philharmoniker wurden, hatte Härtel noch zwei Stellen in verwandten Orchestern inne. Zunächst im damaligen Bühnenorchester der Bundestheater, das auch im Burgtheater spielte. Als Mitglied dieses Klangkörpers entdeckte er das Theater für sich: „Ich kann mich zum Beispiel an Talisman-Vorstellungen des Burgtheaters erinnern, noch mit Robert Meyer, da setzte ich mich in den Spielpausen zum Dirigentenpult und hatte die Bühne frontal vor mir. Es war, als ob man nur für mich spielte…“, ist er noch heute begeistert. Zwischendurch fuhr er zu den Salzburger Festspielen, durfte dort im Rosenkavalier unter Carlos Kleiber spielen, substituierte in der Wiener Staatsoper – und wurde schließlich Solocellist im Volksopern- Orchester. „Meistersinger mit Johan Botha und Falk Struckmann“, schwärmt er, „das waren schon große Erlebnisse“. Schließlich aber landete Härtel im Jahr 2000 an seinem eigentlichen Wunschort, im Orchester der Wiener Staatsoper beziehungsweise bei den Wiener Philharmonikern. Wobei ihn anfangs, erzählt er, mehr das philharmonische Konzertieren als das Spielen im Haus am Ring interessiert hatte. „Die Oper hat mich so nach und nach gepackt“, erinnert er sich heute zurück. Dafür aber richtig: So wie ihn zu Bühnenorchesterzeiten das Theatererlebnis begeistert hatte, so schätzt er heute das „Gesamtpaket“: die Sänger auf der Bühne, das Zusammenwirken aller Gruppen, das Ineinandergreifen aller künstlerischer Aspekte. „Nur leider“, bedauert er, „sind wir Cellisten in puncto Blick auf die Bühne benachteiligt. Meistens sitzen wir ja so, dass wir die Bühne im Rücken haben. Was sich da oben ereignet – das bekommen wir eher aus den Reaktionen der Kolleginnen und Kollegen mit.“

Dafür aber sitzt die Cello-Gruppe frontal zum Dirigenten – und über die Dirigenten weiß der Cellist besonders ausführlich zu erzählen. „Meistens sieht man ja schon daran, wie einer den Dirigentenstab hebt, wie der Abend wird“, berichtet er aus seinem Erfahrungsschatz. Wie nun die Arbeitsweise des Dirigenten im Einzelnen ist, interessiert ihn weniger als die jeweilige Aussage, die hinter der Interpretation steht. „Nikolaus Harnoncourt etwa hatte sicherlich keine perfekte Schlagtechnik, aber wie er sich mitteilen konnte, wie er Bilder gefunden hat, um seine Ideen zu vermitteln: das war einzigartig“. Doch auch über andere Orchesterleiter – von Muti bis Bychkov – weiß er zu fachsimpeln und ihre Zugänge zu beschreiben. Über wen er aber auch immer spricht, welche Situation er auch immer beschreibt: man spürt, dass er – bis heute – nicht nur das Musizieren, sondern nach wie vor das „Drumherum“ schätzt. Und sich nach einem gelungenen, emotional ansprechenden Abend nicht nur über die Vorstellung an sich freut, sondern auch darüber, dass er Menschen eine Freude bereitet hat. „Manchmal vergisst man als Musiker ja, dass man ein Teil des Ganzen ist und als dieser kleine Teil auch an der Freude teilhat, die der Abend bereitet. Und schon dieser Gedanke ist eine Art Belohnung …“

Oliver Láng