Das Schicksal mahlt in Ces
Mit unbarmherziger Regelmäßigkeit erzwingt sich in Leoš Janáčeks Jenůfa die monotone Achtelkette aus einem unentwegt repetierten Ces gleich zu Beginn die Aufmerksamkeit des Publikums. Trocken und doch klangvoll, emotionslos und unbeirrbar, wie das unbestechliche Schicksal. Der Großteil des Orchesters schweigt zunächst, lediglich die Streicher, denen sich etwas später Klarinetten und Hörner hinzugesellen, machen sich im Hintergrund bemerkbar. Doch übertönt werden sie von diesem ins Unendliche reichenden Ces des Xylophons, das sich förmlich wie eine klingende Ausweglosigkeits-Metapher ins Unterbewusstsein des Publikums hineinbohrt. Immer wieder kehrt dieses rhythmische Ces-Ostinato im Laufe des Abends wieder, stets korrespondierend mit dem Drehen des Mühlrades auf der Bühne – symbolhaft für die Unabwendbarkeit, mit der der Frohmut, das unbeschwerte Glück der jungen Jenůfa von den sie umgebenden Personen und Umständen zerbrochen wird. In unermüdlicher Kleinarbeit wird nach und nach alles zermahlen, nur nicht die Güte dieser Frau, die sich zum Schluss zu einer Größe aufschwingt, die alle übrigen beschämt, allen voran ihre sittenstrenge Ziehmutter. »Es ist ein zur Entstehungszeit der Oper Jenůfa noch recht ungewohntes, fast exotisches Instrument, dem Leoš Janáček eine so gewichtige Rolle zuweist«, erzählt der Philharmoniker Benjamin Schmidinger. »Erst um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert soll das Xylophon zum fixen Bestandteil der Partituren werden, nicht zuletzt durch Komponisten wie Strawinski, Schostakowitsch, Prokofjew, Bartók oder eben Janáček«.
Benjamin Schmidinger, seit mehr als 15 Saisonen Mitglied des Staatsopernorchesters, gehört zur vier Personen umfassenden Gruppe der Schlagwerker, von denen alle gleichberechtigt die gesamte Bandbreite des ihnen anvertrauten Instrumentariums spielen: Beginnend bei der kleinen und großen Trommel, über Vibraphon, Glockenspiel, Röhrenglocken, Becken, Triangel, Tamburin und weitere unzählige Sonderinstrumente bis hin zu den Holzstabspielinstrumenten, zu denen neben dem eher harmonisch eingesetzten Xylorimba respektive Marimbaphon auch das solistischere, hauptsächlich mit zwei Schlägeln zu spielende Xylophon gehört.
Zurück zu den Ces-Achtelketten in der Jenůfa. Um hier die Intentionen Janáčeks zu verwirklichen, also genau jenen Klangcharakter zu formen, der das Abbild des Schicksalshaften auf ideale Weise Musik werden lässt, bedarf es, trotz der scheinbaren Simplizität der Tonwiederholungen, einer überaus fein geschulten Spieltechnik, der notwendigen Portion musikalischer Intuition und eines richtigen Gespürs für kleinste Ausdrucks-Nuancen. Benjamin Schmidinger, Lehrbeauftragter an der MdW, verwendet gerne für das unerlässliche Rüstzeug des Profi-Musikers den schönen Vergleich eines riesigen Kastens mit unzähligen Schubladen, die im Laufe des Ausbildung (aber auch während des Berufslebens), mit Erfahrungen, Literatur- und Stilkenntnissen, Partiturstudien, manuellen Fertigkeiten und Interpretationsanalysen angefüllt und dann je nach Bedarf herausgezogen werden können. »Abhängig von der Akustik des Raumes«, so Schmidinger, »des Orchesterklanges, den Wünschen des Dirigenten, der Funktion, die das Instrument an einer bestimmten Stelle in einem Stück auszufüllen hat – eher allgemein begleitend, in Zwiesprache mit anderen Instrumenten, rein solistisch – oder dem Charakter, der ihm inhaltlich zugedacht ist, hat die jeweilige Musikerin, der jeweilige Musiker unentwegt zu entscheiden, zu reagieren, anzubieten. Dazu kommt, dass beim Xylophon die Art der Vibrationen und Schwingungen sowie das Spektrum der
Klangfarben von den unterschiedlichsten Faktoren abhängig sind. Von der Holz- und Bauart beispielsweise und sogar vom Alter des Instruments. Man darf nicht vergessen, dass bei jedem Schlag einiges von einer Klangpalette absplittert – wenn auch nur im Mikrobereich. Und so ist irgendwann einmal das Instrument im Aufführungsalltag nicht mehr zu gebrauchen. Aber auch die Beschaffenheit der Schlägel und die Spielweise haben Einfluss auf das klangliche Ergebnis, der perkussiver, schärfer, akzentuierter oder weicher, sonorer sein kann.« Das Schlägel-Set auf das die Musiker zurückgreifen können, ist jedenfalls variationsreich. In der Jenůfa kommen beispielsweise Schlägel mit harten, kleinen Köpfen zum Einsatz, um das kontinuierliche Klopfen, das klöppelhafte Aufeinandertreffen der Steine beim Drehen des Mühlrades zu versinnbildlichen.
Zu den unverzichtbaren Schubladen-Inhalten des oben erwähnten fiktiven Rüstzeug-Kastens zählt freilich auch das musikantische Aufeinanderhören während des Abends, geschult im tagtäglichen Opernrepertoire- und Konzertbetrieb sowie – auch im Falle Benjamin Schmidingers – in diversen Kammermusikformationen. Selbst kleinste, fast unmerkliche Rückungen werden dadurch abgefangen und atmosphärische Mikrobewegungen aufgegriffen. Denn, so losgelöst von jedem äußeren Einfluss die besagten Achtelketten des Xylophons in der Jenůfa auch klingen mögen: sie müssen sich organisch in den Fluss des Gesamtgeschehens einfügen, um den gewünschten Effekt zu erzielen – und der ist nur möglich durch jene unsichtbaren musikalischen Fäden, die alle Mitglieder während einer Aufführung miteinander verbinden.