Das Prinzip Alberich ist unzerstörbar

Er gilt als einer der ganz großen Interpreten der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Und so hat sich der britische Bariton Leigh Melrose an der Wiener Staatsoper folgerichtig im vergangenen Dezember in der Uraufführungsproduktion von Olga Neuwirths Orlando mit der wichtigen Doppelrolle Shelmerdine/Greene dem Publikum vorgestellt. Aber Melrose lässt immer wieder auch mit aufregenden Interpretationen gängiger Opernpartien aufhorchen – so etwa als Alberich unter Teodor Currentzis bei der RuhrTriennale. Im anstehenden kompletten Ring-Zyklus im März wird er nun mit ebendieser Partie ein Wiener Rollendebüt geben und damit seiner besonderen Liebe zum Werk Richard Wagners als Sänger und Darsteller nachkommen.

Zu Beginn vielleicht noch eine rückblickende Frage zu "Orlando": Haben Sie mit dieser gewaltigen Zustimmung seitens des Publikums gerechnet?
Leigh Melrose: Ich glaube nicht, dass irgendjemand diesen Erfolg erwartet hatte. Denn selbst wenn man als Mitwirkender von der Qualität eines neuen Werkes überzeugt ist – wie in diesem Fall – muss das Publikum oder die Presse diese Meinung ja nicht zwangsläufig sofort teilen. Eine Uraufführung war zu allen Zeiten eine Art Glücksspiel und daran hat sich bis heute nichts geändert. Umso erfreulicher, dass wir im aktuellen Fall offenbar einen Volltreffer gemacht haben! (lacht)

Sie singen vorwiegend Werke zeitgenössischer Komponisten, aber auch die sogenannte klassische Moderne. Wie passt der Alberich in dieses Repertoire?
Leigh Melrose: Mich interessieren an den zeitgenössischen Opern unter anderem die oftmals extrem gezeichneten Charaktere oder Situationen – und genau dieser Aspekt trifft auf Alberich hundertprozentig zu: Er ist eine Art trauriger Held, der sich eines Tages zu einer unfassbaren, wahnwitzigen Tat aufrafft – der Liebe für immer abzuschwören, um dadurch unbeschränkte Macht zu erhalten.

Zugleich ist Alberich zunächst ein sehr alltäglicher Mensch, der sich unglücklich nach Zuneigung sehnt und – wie viele junge Männer – seine Wünsche und Hoffnungen nicht einmal konkret zu formulieren imstande ist… … geht es zu weit, wenn man im "Rheingold" Mitleid mit Alberich hat?
Leigh Melrose: Natürlich muss man mit jemandem, der nicht mehr liebesfähig ist, grundsätzlich Mitleid haben. Darüber hinaus steht Alberich am Ende von Rheingold vor dem absoluten Nichts. Alles ist ihm genommen, alles ist zusammengebrochen, ein verzweifelter Fluch des Gedemütigten die einzige Entgegnung. Wenn das nicht herzzerreißend ist!

Ist Alberich eine sich entwickelnde Persönlichkeit? Handelt es sich um eine Rolle in drei Opern oder um drei verschiedene Partien?
Leigh Melrose: Ich sehe ihn eindeutig als durchgehenden Charakter: All sein späteres Bestreben und Wirken – auch das nebelhafte Auftauchen in der Götterdämmerung – wurzelt im Rheingold, genauer in der Zurückweisung durch die Rheintöchter und der Entwendung des Rings. Diesem nebelhaften Auftauchen folgt ein nebelhaftes Verschwinden, aber kein eindeutiger Tod.

Warum lässt Wagner Alberich am Leben?
Leigh Melrose: Weil das Prinzip Alberich unzerstörbar ist, auch wenn es sich nur um eine Figur aus Wagners erfundener Mythologie handelt. Man kann ihn nicht töten, denn in jedem Menschen ist ein wenig von Alberich vorhanden: Das Verlangen nach Liebe, das Streben nach Macht, das Gefühl der Rache. Somit bleibt Alberich auch nach dem Untergang der Götter anwesend, selbst wenn er zuvor verschwunden ist.

So gesehen ist Alberich auch in der Walküre existent, obwohl er in diesem Werk nicht auftritt?
Leigh Melrose: Absolut. Zumal Wotan seiner Tochter Brünnhilde über Alberichs Taten referiert und dessen Taten und Absichten schon auf diese Weise wie ein lauerndes Monster präsent sind.  Gar nicht zu reden vom Fluch-Motiv, das uns Alberich auf musikalische Weise ins Bewusstsein ruft.

Kommen wir zum „Gespräch“ Alberich-Hagen: Welches Verhältnis haben die beiden zueinander – Liebe wird da keine Rolle spielen?
Leigh Melrose: Die Frage ist, ob Alberich hier nur als sein eigenes Prinzip in einer Traum-Vision Hagens in Erscheinung tritt oder tatsächlich und real agiert. Aber, egal wie man sich inszenatorisch entscheidet, in beiden Fällen geht es um die Betonung eines Blutpaktes der beiden, um das Beschwören einer dämonischen Übereinkunft von Vater und Sohn. Interessant übrigens, dass Alberich seinem Gegenspieler Wotan auch in diesem Punkt ähnelt: Beide lassen ihre Kinder einen Stellvertreterkrieg führen und dabei zugrunde gehen.

Würde Alberich so weit gehen Hagen persönlich zu töten, um an den Ring zu kommen?
Leigh Melrose: Das ist gut denkbar, er ist so gollumhaft besessen davon, den Ring wieder zu erlangen, dass er zu jedem Extrem in der Lage wäre. Sie haben Gollum genannt.

Für einen Briten der Alberich interpretiert, ist Tolkiens Herr der Ringe automatisch im Hinterkopf präsent.
Leigh Melrose: Auch wenn es sich um zwei komplett verschiedene Mythen handelt: Ja, die beiden Figuren Gollum und Alberich sind einander zu ähnlich, um bei der Nennung des einen nicht sofort an den anderen zu denken. Aber vergessen wir nicht: Wagners Tetralogie entstand vor dem Herrn der Ringe – die Richtung der schöpferischen Beeinflussung liegt eindeutig auf der Hand.

Im Gegensatz zu vielen zeitgenössischen Werken existiert gerade beim Ring eine große Aufführungstradition – muss man sich dieser stellen?
Leigh Melrose: Mein großer Vorteil war, dass ich gewissermaßen mit dem Ring aufgewachsen bin. Als Kind durfte ich ihn immer wieder hören, habe später alle erwerbbaren Aufnahmen bewusst verschlungen und auch als Student jeden in London angebotenen Ring-Zyklus besucht. Dadurch hat sich die Tetralogie gewissermaßen in meine musikalische DNA eingeschrieben. So gesehen besitze ich das Privileg in ständigem Austausch mit der Aufführungstradition dieser vier Opern gestanden zu sein.

Ganz grundsätzlich zum Ring: Sind Liebe und Macht miteinander zu versöhnen?
Leigh Melrose: Nicht im Falle von Alberich. Aber ansonsten … natürlich, Macht korrumpiert, wir sehen das jeden Tag … aber hoffen wird man noch dürfen …

Um bei der Hoffnung zu bleiben: Werden Sie sich eines Tages auch an einen Wotan heranwagen?
Leigh Melrose: Ich höre und sehe Wagners Opern mit großer Freude und mit großem Gewinn, aber ich möchte andere Gipfel erklimmen. Alberich habe ich, wie angedeutet, nur aufgrund der Beschaffenheit seines besonderen Charakters herausgepickt … andererseits, wie wir alle wissen: Man soll ja niemals nie sagen.

Das Gespräch führte Andreas Láng


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