© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

DAS GEHEIMNIS DER AIDA

VON KS ANNA NETREBKO

Ich finde Aida umwerfend schön (nicht mich, die Figur) und exotisch. Sie hat diese erstaunliche innere Stärke, die Radames zu ihr hinzieht. Radames ist eine starke, männliche Figur, ein Krieger. Deshalb wird er nur von starken, selbstbewussten Frauen angezogen. Das sind die Eigenschaften, die Aida haben muss. Es reicht, seine erste Arie zu hören, sein »Celeste Aida«, um dies zu verstehen. Seine Worte beschreiben ihre göttliche Schönheit (sie hat wahrscheinlich einen umwerfenden Körper). Ich denke, es ist wichtig, sich während der gesamten Oper daran zu erinnern, dass ein Mann, der so sehr in eine solche Frau verliebt ist, dass er geradezu seinen Verstand zu verlieren scheint, zu verrückten Dingen fähig ist. Dazu gehört auch, seine Armee und sein Heimatland zu verraten – was er am Ende auch tut. Wenn man das nicht versteht, gibt es keine Entschuldigung für die Handlungen von Radames.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Figur der Aida für uns ziemlich geheimnisvoll bleibt; wir wissen nicht viel über sie und durchschauen ihr Inneres kaum. Wir wissen, dass sie sich in einer sehr unglücklichen Situation befindet und dass sie sehr leidet. Wir wissen, dass sie Radames wirklich liebt. Sie hat Heimweh, befindet sich inmitten eines gewalttätigen Konflikts und spürt, dass ihr Leben zu Ende ist. Deshalb ruft sie immer wieder »Numi, pietà« (»Götter, habt Erbarmen«). Es ist ein Hilferuf, weil sie sich hilflos fühlt. Sie kann nur noch beten und hoffen, dass die Götter sie retten werden.
Aidas Musik ist ziemlich kompliziert. Sie hat nicht die gleiche Anmutung wie jene von Amneris in der Gerichtsszene, die brillant und stark ist. Oder wie jene der anderen Verdi’- schen Heldinnen. Deshalb singe ich Aida so gerne, weil ich die Herausforderung liebe, das Beste aus dieser herrlichen Musik herauszuholen, und das ist eine ganze Menge. Sehr oft wird die Gesangslinie von Aida durch ein Instrument verdoppelt. Sie singen zusammen, sie verschmelzen miteinander. Das ist es, was der Musik von Aida eine so besondere Schönheit verleiht. Und warum die Interpretinnen der Rolle eine schöne Stimme haben müssen. Das ist sehr wichtig. Außerdem muss die Sängerin der Aida eine solide Technik haben. Sie hat den ersten Akt und den großen zweiten Akt zu überstehen, der zum großen Teil aus viel Chor besteht und einen kraftvollen Gesang erfordert. Nach all dem kommt der dritte Akt mit der Nil-Szene, die so viele Anforderungen an die Stimme stellt: mehrere Register, hohe Töne, tiefe Töne, Pianissimi, Forti, Drama, Leggero-Gesang.
Ich glaube, ich kenne das Geheimnis, wie man Aida erfolgreich singt: Nur ein Sopran, der mutig ist und ein offenes Herz hat, kann Aida singen. Sopranistinnen, für die das nicht zutrifft, werden mit der Partie ihre Schwierigkeiten haben; ich habe das schon oft erlebt. Aber wir Soprane versuchen es trotzdem alle, nicht wahr?