Brennen seit 40 Jahren
Liebe Frau Kammersängerin, Sie haben 1978, also vor 40 Jahren, an der Wiener Staatsoper debütiert. Können Sie sich noch an Ihre erste Zeit hier am Haus erinnern?
Marjana Lipovšek: Ja, natürlich! Ich erinnere mich noch sehr gut... Im Juni 1978 habe ich vorgesungen und wurde ins Opernstudio engagiert, ich war in der Klasse von Hilde Konetzni, hatte aber bis auf die Gesangsstunden nicht viel zu tun. Das war mir zu wenig. Also bin ich zum musikalischen Studienleiter gegangen, zum legendären Arnold Hartl, und habe ihn angesprochen: „Gibt es nichts zum Singen für mich? So komme ich nicht weiter, wenn ich nicht auf die Bühne darf.“ Und man gab mir die Kate Pinkerton in Madama Butterfly. Ich sang die Rolle zum ersten Mal am 5. Dezember 1978: Das war zwar keine große Aufgabe, aber ich war dennoch sehr nervös. So, als ob es eine Riesenrolle wäre! Ich sang die Partie zweimal, in genau dieser Inszenierung, die immer noch im Einsatz ist. Kate geht hinten auf und ab, man sieht sie nur durch eine geöffnete Tür. Wie gesagt: es war sehr aufregend für mich. Mein Debüt ...
Wenig später folgte die erste Premiere…
Marjana Lipovšek: Ich sang 1979 in der Neuproduktion von Gianni Schicchi die Ciesca. Gerd Albrecht dirigierte und Otto Schenk inszenierte. Das war für mich wie der Himmel auf Erden! Walter Berry sang den Schicchi und die Sänger nahmen mich sehr nett in die Staatsopern- Familie auf. Gleichzeitig coverte ich die Fürstin in Suor Angelica – und sang sie im Herbst. Unter anderem bei jener berühmten Vorstellung, in der Gerd Albrecht zusammengebrach und der Korrepetitor, der die Oper einstudiert hatte, aus dem Klavierauszug weiterdirigierte.
Sie haben die Nervosität angesprochen. War und ist das in Ihrer Karriere ein Thema?
Marjana Lipovšek: Natürlich war ich nervös! Aber ich finde, dass es eine gesunde und eine ungesunde Nervosität gibt. Wer kennt das nicht, dieses typische Gefühl am Nachmittag vor einem Auftritt: „Warum habe ich mir nur diesen Beruf ausgesucht?“ Und wer kennt die Spannung nicht, bevor man auftreten muss? Aber ich bin draufgekommen, dass ich mich, je besser ich vorbereitet bin, desto mehr auch auf einen Abend freue. Wirklich panische Momente sind mir nur passiert, wenn ich mich nicht ausreichend vorbereitet hatte. Das Schlimmste aber waren immer die Liederabende. Da steht man einen Abend lang alleine auf dem Podium, hat keinen Souffleur, keine Kollegen, keine szenischen Aktionen. Auf der Opernbühne kann man sich zur Not ja immer noch schnell wegdrehen… Wenn man aber bei einem Liederabend den Text vergisst – dann gibt es keine Rettung mehr!
Und heute? Kennen Sie das Gefühl der Nervosität noch?
Marjana Lipovšek: Ich bin in Wien grundsätzlich nervöser als in einer anderen Stadt. Wien habe ich lieber als alle anderen Orte, es bedeutet mir am meisten – und daher bin ich auch besonders aufgeregt. Aber, ich sage es noch einmal: Vorbereitung ist da die beste Medizin. Daher bin ich auch schon im Dezember in die Staatsoper gekommen, um die Regimentstochter vorzubereiten.
Sie sangen an der Wiener Staatsoper 240 Abende, quer durch alle Fächer. Haben Sie sich gegen das Schubladendenken gesträubt?
Marjana Lipovšek: Also erstens bin ich Schütze, und ein Schütze kann nie bei einer Sache bleiben. Ich sang gerne moderne Musik, Puccini, Verdi, Bach, Strauss, Wagner. Ich liebe diese Komponisten einfach, so wie ich Musik als solche liebe. Und ich wollte mein Repertoire breit halten. Man hat mich auch gerne in allen Fächern eingesetzt. Das eine führte stets zum anderen…
Hat die jeweilige Rolle auf Ihre Laune geschlagen? Waren Sie als Brangäne „brangänischer“?
Marjana Lipovšek: Na und wie! Immer wenn ich Klytämnestra gesungen habe, ist mein Mann einen kleinen Schritt zur Seite gewichen. Ich war immer sehr geprägt von meiner ersten Klytämnestra, das war in London mit Götz Friedrich: unglaublich! Packend! Aber auch anstrengend! Ich war voll in der Rolle – und er hat auch alles abverlangt. Alle meine späteren Klytämnestras basierten auf dieser ersten. Da war ich wie verrückt! Und das muss man auch sein. Man kann sich nicht ganz von einer Rolle distanzieren.
Und wie lange hält dieser Rollen-Einfluss?
Marjana Lipovšek: Bis zum nächsten Tag, würde ich sagen. Man hat dann doch ziemlich viel Adrenalin im Blut. Wir sind einmal nach einer Elektra-Vorstellung mit dem Auto direkt nach Salzburg gefahren. In meiner Eile hatte ich mich gar nicht abgeschminkt und da wir ein wenig schnell unterwegs waren, hielt uns ein Polizist an. Ich kurbelte das Fenster runter und habe ihn – noch in Klytämnestra-Stimmung und voll geschminkt – nur fragend angeschaut. Er hat geschluckt, den Mund auf- und zugeklappt… und ist geflohen.
Das bedeutet aber, dass Sie nach Auftritten auch nicht sonderlich gut schlafen können?
Marjana Lipovšek: Es dauert schon ein paar Stunden, bis ich mich wieder beruhigt habe. Wenn alles gut gegangen ist, dann geht es besser. Aber wenn nicht, dann wache ich mitten in der Nacht auf und ärgere mich…
Wenn Sie auf 40 Jahre Opernwelt zurückblicken: Hat sich im Betrieb Grundlegendes geändert?
Marjana Lipovšek: Ich würde sagen, dass Sänger vor 40 Jahren eine größere Rolle gespielt haben als heute. Inzwischen weht vielen, die nicht die ganz großen Stars sind, mitunter ein eher rauer Wind entgegen – da ist Wien noch eine Ausnahme, denn in Wien hegt man eine große Liebe für Sänger. Ich habe eine Theorie: Zuerst spielten die Sänger die Hauptrolle, dann kamen die Dirigenten, irgendwann die Regisseure und schließlich die Ausstatter. Das Aussehen und die Ästhetik werden immer wichtiger. Aber: Sänger müssen ja immer noch dasselbe leisten wie vor 100 Jahren…
Aber Sie würden, wenn Sie neu anfingen, heute immer noch Sängerin werden wollen?
Marjana Lipovšek: Ich würde auf alle Fälle etwas mit Musik machen wollen. Aber ja, doch: Gesang ist etwas sehr Schönes. Sagen wir also: ja!
Wenn man so viele Abende an den großen Häusern verbringt: Wird dann die Sologarderobe allmählich so etwas wie das zweite, oder sogar das echte Zuhause?
Marjana Lipovšek: Naja, das eher nicht. Ich fühle mich im Musikverein und in der Staatsoper daheim, sowohl auf, als auch hinter der Bühne. Aber das echte Zuhause ist dann doch … das echte Zuhause und kein Theater.
Sie unterrichten ja auch: Können Sie beim ersten Anhören sagen, ob jemand eine Karriere machen wird oder nicht?
Marjana Lipovšek: Das kommt nur sehr selten vor, und ich habe mich auch schon oft geirrt. Manchmal denkt man sich: „Eine tolle Stimme! Das wird eine Weltkarriere.“ Aber dann gibt es doch noch viele andere Faktoren: Disziplin, Durchhaltevermögen, Einstellung zu dem, was man tut, Einstellung zum Betrieb und zu den Kollegen und noch viel anderes. Zubin Mehta meinte einst, dass man für den Beruf brennen müsse. Das ist vielleicht das Allerwichtigste!
Oliver Láng
La Fille du régiment | Gaetano Donizetti
11., 13., 16., 19. Jänner 2018
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