Ballett-Premiere: George Blanchine | JEWELS

Folgt man den Worten Lincoln Kirsteins (1907 bis 1996) – einem der bedeutendsten „Väter“ des Balletts in den USA, der sowohl an der Grün- dung der School of American Ballet (1934) wie auch der Ballet Society (1946), dem späteren New York City Ballet maßgeblichen Anteil hatte – so fiel der Startschuss zum Ballett Jewels in Europa, als der Geiger Nathan Milstein den Choreographen George Balanchine (1904 bis 1983) mit dem Juwelier Claude Arpels bekannt machte.

Die Gebrüder Arpels, Claude und Pierre, unterhielten neben dem Juwelierberuf eine ebenso rege wie ausgedehnte Reisetätigkeit, die Claude, dem älteren der beiden, alsbald auch die Spitznamen „Diamantenkönig von Bombay“ bzw. „Freund der Maharadschas“ einbrachte.

Die eigentliche Inspiration Balanchines erfolgte je- doch erst in den Van Cleef & Arpels’ Fifth Avenue Salons in New York, wo sich der Choreograph von den Kreationen so begeistert zeigte, dass er beschloss, selbigen ein Denkmal in tänzerischer Form zu setzen.

Balanchine selbst wies darauf hin, dass das Ballett dabei an sich nichts mit Juwelen zu tun hat, sondern lediglich die Ausführenden wie Juwelen, konkret in deren Farben gekleidet sind. Die einzelnen „Stationen“ des Balletts – Emeralds zu Musik von Gabriel Fauré, Rubies zu Musik von Igor Strawinski und Diamonds zu Musik von Peter Iljitsch Tschaikowski – markieren vielmehr wichtige Entwicklungslinien und Traditionen des klassischen Balletts sowie gleichzeitig wesentliche Stationen der Lebensreise des Choreographen, die durch die jeweils gewählte Musik geographisch deutlich gemacht werden.

So stehen der Smaragd für Frankreich und dessen bedeutende Balletttradition, der Rubin für das Herzblut, mit dem Balanchine selbst sich in den USA für die weitere Entwicklung des Balletts einsetzte und der Diamant für Russland und dessen „glasklare“ Schule des klassischen Tanzes, die dem in St. Petersburg geborenen Globetrotter Balanchine in seinen Jugendtagen das notwendige Rüstzeug für sein Lebenswerk vermittelte und darüber hinaus als künstlerischer Ausgangspunkt diente.

Beinahe hätte die Kollektion des Meisters noch eine weitere Preziose umfasst: „I thought of doing sapphire, too – I had Schönberg in mind, but the color of sapphire is so hard to get across on stage“, meinte Balanchine in seiner typisch pointierten Art dazu, um auf die Frage, welchen Inhalt das Stück Rubies denn eigentlich hätte, noch lakonischer zu antworten: „It’s about twenty minutes.“

Weitaus länger als zwanzig Minuten währt die Auseinandersetzung des Wiener Staatsballetts mit den Jewels: Das erste abendfüllende, abstrakte Ballett Balanchines begleitet das Ensemble in Ausschnitten bereits seit Beginn der Amtszeit von Ballett- direktor Manuel Legris. Zu sehen waren bisher Rubies (seit der Spielzeit 2010/2011) sowie Diamonds (Pas de deux in der Spielzeit 2017/2018), nunmehr steht das Opus komplett am Spielplan, um damit einen Höhepunkt der tänzerischen Neoklassik in Wien zu repräsentieren.

George Balanchine, zu dessen Auszeichnungen auch das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst (1981) zählt, ist seit 1958 mit zahlreichen Werken auf der Bühne der Wiener Staatsoper vertreten und bildet vor allem in der Di- rektionszeit von Manuel Legris einen Schwerpunkt des Repertoires.

Der Ausnahmechoreograph, dessen Œuvre mehr als 400 Werke umfasst, wurde 1904 geboren und stellte sich bereits während seiner Ausbildung an der Kaiserlichen Theaterschule St. Petersburg 1915 als Tänzer in Petipas Dornröschen am Mariinski-Theater vor. Fünf Jahre später debütierte er mit La Nuit – entstanden für eine Schulaufführung – im choreographischen Fach. Nach diversen Engagements als Tänzer widmete er sich zunehmend der Kreation, ab 1925 u.a. für Diaghilews Ballets Russes. 1932 wirkte er als Ballettmeister und Choreograph der Ballets Russes de Monte-Carlo, um nach nur zwei Jahren seinen Lebensweg in den USA fortzusetzen, wo als sein erstes Ballett auf neuem Boden die legendäre Serenade zu Musik von Tschaikowski entstand. Nach der Gründung der School of American Ballet (zusammen mit Kirstein), der Position des Chefchoreographen des American Ballet (ab 1935) und weiteren Ensemblegründungen zusammen mit Kirstein (darunter die Ballet Society) blieb er als Ballettmeister und Chef-choreograph „seinem“ New York City Ballet ab der Mitte der 1940er Jahre bis ins hohe Alter treu. Als er 1983 starb, hatte er – nicht zuletzt dank einer kongenialen Partnerschaft mit Igor Strawinski und einer unnachahmlichen Fähigkeit, Musik in tänzerische Linien zu „übersetzen“ – seinen Ruf als wohl bedeutendster Choreograph des zwanzigsten Jahrhunderts längst gefestigt; eine Position, von deren Strahlkraft man sich nunmehr aufs Neue an der Wiener Staatsoper überzeugen kann.

Oliver Peter Graber


JEWELS
Emeralds | Rubies | Diamonds

Choreographie: George Balanchine Musik: Gabriel Fauré
(Pelléas et Mélisande und Shylock), Igor Strawinski

(Capriccio für Klavier und Orchester),

Peter Iljitsch Tschaikowski (Symphonie Nr. 3, D-Dur op. 29, ohne den Ersten Satz)

Kostüme: Karinska
Bühnenbild: Peter Harvey
Einrichtung Bühnenbild: John C. Sullivan Licht: Mark Stanley
Einrichtung Licht: Christian Kass

Wiener Staatsballett Dirigent: Paul Connelly

Premiere: 2. November 2019
Reprisen: 4., 5. November 2019
2., 5., 7., 9  Dezember 2019
27., 29. Jänner 2020

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