Am Stehplatz: Thomas Ebenstein
Nachdem ich durch den Opernball im Frühjahr 1997 aus der Kärntner Provinz in die feine „Wiener Gesellschaft“ eingeführt worden war, habe ich im Herbst desselben Jahres mein Gesangsstudium an der Wiener Musikuniversität bei Prof. Helena Lazarska begonnen. Nun war ich endlich in der Großstadt angekommen. Als Student, Opernverrückter und noch unbeschriebenes Blatt galt es das Repertoire kennenzulernen. Jetzt endlich hatte ich die Möglichkeit, jeden Abend in die Oper zu gehen! Mein erster Opernabend war damals Don Carlo mit Furlanetto, Shicoff, Urmana & Álvarez. Ich war nachhaltig beeindruckt. Es sollten zahlreiche Opernbesuche folgen; im ersten Studienjahr waren es mehr als 100 Abende am Stehplatz! Fast immer stand ich auf der Galerie, weil der Unialltag in Penzing bis Abends andauerte und ich meistens auf den letzten Drücker in die Staatsoper kam. So habe ich mich in meinen Studienjahren mehr oder weniger durch das ganze Repertoire gehört, nicht nur das Kernrepertoire, sondern auch Opernraritäten wie La Juive oder Jonny spielt auf. Wo sonst kann man das in so kurzer Zeit schaffen?
Ich habe persönlich sehr vom Stehplatz profitiert, denn als Student hätte ich mir Sitzplatzkarten niemals leisten können. Ich finde das eine tolle Errungenschaft, dass auch Menschen mit wenig Geld einen Abend in der Oper verbringen können. Hier wird die öffentliche Hand meines Erachtens exemplarisch und sehr direkt ihrem Bildungsauftrag gerecht. Das ist sicherlich sehr gut eingesetztes Geld!
Indem ich immer mehr Werke gehört hatte, konnte ich Vorlieben und Leidenschaften entwickeln. In dieser Zeit habe ich viele Sängerpersönlichkeiten schätzen gelernt und dadurch wurde mein Geschmack geschult. Anfangs war ich noch etwas unsicher, aber mit zunehmender Erfahrung und steigenden Kenntnissen durch das Gesangsstudium wurde ich treffsicherer im Urteil, doch immer wertschätzend für die Leistung jedes Einzelnen.
Anfangs war ich nur ein Freund der italienischen Oper, später hat sich dann meine Leidenschaft für Strauss und Wagner herausgebildet. Highlights in dieser Zeit waren sicherlich die Frau ohne Schatten- Premiere im Dezember 1999 mit Sinopoli, Botha, Voight, Lipovsek, Struckmann & Schnaut; die Billy Budd-Premiere im Februar 2001 mit Runnicles, Shicoff, Skovhus & Halfvarson und die Tristan- Premiere im Mai 2003 mit Thielemann, Moser, Holl, Voigt & Lang. Ein Glück, dass man dabei sein konnte.
Auf jeden Fall kostete es immer etwas Überwindung, in eine lange Oper auf den Stehplatz zu gehen. Aber es verhält sich dabei wie beim Gang ins Fitness-Studio: Anfangs muss man sich überwinden, aber am Ende ist man doch sehr froh, dass man da gewesen ist.
Im Studium wuchs der Traum heran, einmal selber auf den Brettern der geliebten Wiener Oper am Ring zu stehen, aber er schien doch in weiter Ferne. So zog es mich nach dem Studium 2003 erst einmal für mein ersten Festengagement ins benachbarte Ausland an die Komische Oper Berlin. Als in Wien dann 2012 eine Stelle frei wurde, bekam ich eine Einladung zum Vorsingen und tatsächlich erfüllte sich mein Traum: Seit der Saison 2012/2013 bin ich nun im Ensemble der Staatsoper. Viele Sänger von damals wurden jetzt zu meinen Kollegen.