Am Stehplatz: Peter Matić
Es war ein für mich wahrhaft bewegender Augenblick, als ich im Dezember 2012 im Zuge einer Probe zur Ariadne-Neuproduktion zum ersten Mal auf der Bühne der Wiener Staatsoper stand und in den großen leeren Zuschauerraum blickte. Dort, gleichsam im Hintergrund, wo sich die Stehplätze befinden, hatte ich in meiner Studienzeit zwischen 1956 und 1960 Stunden über Stunden und Abende über Abende verbracht – bis zu fünf Mal in der Woche. Eine herrliche Zeit! Mit Herbert von Karajan, dem neuen „Chef“ der kurz davor wiedereröffneten Oper waren damals ja zahllose Sängerinnen und Sänger gekommen, die man hierzulande bis dahin nur von den Schallplatten her kannte – ich glaube, es gab in diesen Jahren tatsächlich kaum ein wesentliches Debüt, das ich als musikbegeistert-neugieriger Mensch nicht persönlich miterleben durfte: Richard Tucker, James McCracken, Franco Corelli, Giuseppe Di Stefano, Carlo Bergonzi, Renata Scotto, Renata Tebaldi, Ettore Bastianini seien hier nur als Beispiele genannt. Ich war hauptsächlich hinter Sängerinnen und Sängern her, weil ich die menschliche Stimme so sehr liebe und sie für das schönste Instrument halte, das geschaffen wurde. Ganz besonders oft sah ich übrigens die Tosca, weil sich die meisten Spinto-Tenöre als Cavaradossi dem Wiener Publikum vorstellten. Aber ich erinnere
mich natürlich auch an den neuen Ring von Herbert von Karajan mit der grandiosen Birgit Nilsson als Brünnhilde (die ich, noch im Theater an der Wien, an der Seite von Max Lorenz und
Gertrude Grob-Prandl sogar als Sieglinde gehört hatte), unvergesslich bleibt mir weiters natürlich Dimitri Mitropoulos als Dirigent einer fantastischen Macht des Schicksals-Premierenserie.
Wann immer ich an der Oper vorbeiging, habe ich, selbst wenn ich eine Vorstellung aus Zeitgründen nicht besuchen konnte, interessiert das Abendplakat mit den Besetzungen studiert, insbesondere, wenn, wie heute noch üblich, im Falle einer kurzfristigen Umbesetzung auf einem aufgeklebten rosa Zettel der Name des jeweiligen Einspringers notiert war. Und wie sehr mich dieses Haus und die Aufführungen bis ins Innerste bewegt und beeinflusst haben, zeigt vielleicht ein skurrilkomischer Traum, den ich eines Nachts hatte: In diesem Traum ging ich wieder einmal an der Wiener Staatsoper vorbei und sah schon von weitem einen rosa Umbesetzungszettel auf dem Abendplakat prangen. Ich ging näher und las überrascht folgenden Hinweis: „Wegen einer Erkrankung von Herrn XY singt heute Abend Peter Matić den Rodolfo in Puccinis La Bohème.“ Was mich allerdings bekümmerte, war nicht der Umstand, dass ich als Opernsänger auftreten sollte, sondern der etwas merkwürdige Zusatz: „in deutscher Sprache“. Denn ich bildete mir in einer – nur im Traum möglichen – Selbstüberschätzung ein, dass ich die Rolle lediglich auf Italienisch einstudiert hätte. Und so dachte ich mir traurig: „Zu dumm, auf Italienisch wäre es kein Problem, aber Deutsch wird es ziemlich schwer werden …“
Peter Mati´