Allein gegen 2500 Zuschauer

Viele Sänger scheinen nervös und angespannt zu sein wenn sie auf der Bühne stehen, bei Ihnen hingegen wirkt es, als ob es Ihnen richtig Spaß machte

Antonino Siragusa: Ja, das stimmt, das ist der Eindruck, den ich vermittle und den das Publikum bekommt und das ist auch gut so, denn das heißt, dass ich die jeweiligen Rollen richtig interpretiere. Aber natürlich verspürt jeder von uns auf der Bühne in Wahrheit doch immer ein bisschen Aufregung und Angst, man stellt sich ja sozusagen zur Schau und ist alleine gegen zweieinhalbtausend Zuschauer. Das Wichtigste ist aber meiner Meinung nach, die Freude daran zu zeigen, dass wir diese Gabe besitzen, solche Töne hervorzubringen. Ich tue mir diesbezüglich insofern leichter, als ich eine Person bin, die immer versucht, mit einem Lächeln durchs Leben zu gehen und nicht an die Sorgen denkt.

Was ist leichter zu singen – Rossini, Donizetti oder Bellini?

Antonino Siragusa: Mein Debüt gab ich 1996 mit dem Liebestrank, begann also meine Karriere im Donizettischen Einflussgebiet. Ein Jahr später wurde mir dann die Cenerentola angeboten und ich war damit automatisch mit einem Mal in Rossinischen Gewässern. Leichter? Schwerer? Bei Bellini und auch bei den ersten Werken Verdis – ich habe kürzlich Rigoletto in Barcelona gesungen – kann man die Stimme sozusagen eher „herauslassen“, man hat hier die Möglichkeit, die ganze Stimmbreite einzusetzen. Bei Rossini hingegen ist dies nur begrenzt möglich. Und die Rossinischen Koloraturen, diese vielen Höhen, diese Läufe, stellen, egal ob in seinen Buffo- oder Seria-Opern, definitiv eine gewaltige Herausforderung dar. Kurzum: Ich finde den Legato-Belcanto eines Donizetti, Bellini oder Verdi leichter als den zerklüfteten, zerstückelten Rossini-Belcanto.

Bleiben wir bei Rossini, wo liegen die Unterschiede zwischen der früher entstandenen L’italiana in Algeri und dem Barbier von Sevilla?

Antonino Siragusa: Der Lindoro in der Italiana hat eine zentrale Tessitur mit einer sehr hohen Puntatura. Schon die extrem komplizierte Auftrittsarie hat es in sich und danach kommt sofort das Duett mit Mustafà, in dem Flinkheit und Gewandtheit erfordert werden – man kann sich also nicht zwischendurch erholen und ein bisschen Luft schnappen. Für einen Tenor wie mich ist die Italienierin sicher schwieriger als der Barbier. Wobei ich mir allerdings beim Grafen Almaviva das Leben quasi künstlich schwerer mache, weil ich auch immer noch die letzte Arie „Cessa di resistere“ singe. Viele Kollegen sagen kanapp vor Schluss immer zu mir: „Ah gut, nun ist es vorbei“ und ich antworte darauf: „Nein, ich muss noch die Arie singen“. (lacht)

Und warum machen Sie sich das Leben schwerer als nötig?

Antonino Siragusa: Wir alle, die wir auf der Bühne stehen, sind doch in Wahrheit narzisstisch veranlagt. Die Lust, sich zur Schau zu stellen, der Wunsch sich und dem Publikum beweisen zu wollen, dass man eine Arie, die von großen Vorgängern in der Vergangenheit gesungen wurde, ebenfalls beherrscht, gehört einfach zu unserem Wesen dazu.

Es hat ja auch etwas Sportliches …

Antonino Siragusa: (lacht) Ja, sicherlich, es gibt sogar ein Video von mir auf youtube, in dem ich, während ich eben diese letzte Arie auf der Bühne in Paris singe, Fußball spiele.

Dieses Zur-Schau-Stellen muss wohl angeboren sein?

Antonino Siragusa: Vermutlich. Mir hat es tatsächlich schon als kleiner Junge gefallen vor Publikum zu singen, ich hatte da keine Scham. Und dass ich als Jugendlicher auf Dorfplätzen bei Festen Gitarre gespielt und gesungen habe, dürfte ebenfalls hilfreich gewesen sein. Schließlich ist man dort dem Publikum viel näher, kann zu den Leuten einen richtigen Kontakt aufbauen – dadurch erwirbt man sich eine gewisse Natürlichkeit.

Was sagen Ihre Kinder, wenn Sie zu Hause üben?

Antonino Siragusa: Ich übe eigentlich nicht viel zu Hause, sondern bei meinem Lehrer. Ich nerve also die Familie nicht zu sehr (lacht). Meine Kinder sind aber mittlerweile meine größten Kritiker geworden und wenn ich einmal doch daheim übe, dann heißt es gleich: „Ah Papa, sing diesen Ton vielleicht nicht auf diese Art, das hast du jetzt nicht so gesungen, wie es sonst deine Art ist“ etc. Die nehmen sich kein Blatt vor den Mund.

Gibt es eine Oper, die Sie zum Weinen bringt?

Antonino Siragusa: Ich denke La Bohème. Ich kann den Schluss nicht hören, wenn Mimì stirbt und Rodolfo „Mimì, Mimì“ singt – da zerreißt es mir das Herz. Jedes Mal muss ich weinen, erst neulich, als sie die Oper im Fernsehen brachten, mit Pavarotti …

Was machen Sie, um aus dem Alltagstrott auszubrechen? Oder kennen Sie dieses Gefühl nicht?

Antonino Siragusa: Ich hoffe ernsthaft, dass ich mich nie langweile, denn die Langeweile macht mir Angst und auch das Älterwerden und auch die Bosheit von manchen Menschen. Da muss noch einiges geschehen! Meine Frau ist aus Kampanien und ich aus Sizilien und wir leben in Triest, also im Norden, und merken hier, dass zwischen Nord- und Süditalien, also innerhalb eines Landes, manchmal noch nicht allzuviel Einklang besteht. Dann brauchen wir uns nicht zu wundern, dass beim Versuch die Grenzen zu öffnen und multiethnisch sein zu wollen, Spannungen entstehen. Das macht mich ein bisschen traurig. Um dem Alltagstrott und der Langeweile entfliehen zu können, ist es auch wichtig diese Dinge zu verbessern, vielleicht auch nur mit einem kleinen Lächeln. Ich liebe es zu lächeln, selbst wenn es vielleicht manchmal wenig zu lachen gibt.

Andreas Láng, Andrea Polaczek


L’italiana in Algeri | Gioachino Rossini
26., 29. Oktober 2017
2. November 2017
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