75 Jahre Begeisterung

In Věc Makropulos, der Dezember-Premiere der Wiener Staatsoper, wird von einer weltberühmten Sängerin – Emilia Marty – berichtet, die von Erfolg zu Erfolg schreitet und dank eines Wunderelixiers mit ewiger Jugend beschert ist. So die Geschichte. Mitunter drängt sich durchaus der Verdacht auf, dass diese Emilia Marty einst einen besonderen Kollegen an ihrem Zaubertrank hat nippen lassen ... Der Kollege – das ist Plácido Domingo, der im Jänner seinen 75. Geburtstag feiert. Denn gemäß seinem Motto „Wer rastet, der rostet“ hat der Sänger bis heute ein fast unvorstellbares Arbeits- und Wirkungsspektrum entfaltet, das ihn schier ohne Pause durch die Operngeschichte führt. Domingo, das ist mehr als nur ein Name, eine Persönlichkeit, ein Sänger oder Dirigent. Domingo ist eine Ikone des Musiktheaters, und heute, wie kein anderer Kollege, eine Ausnahmeerscheinung. Wie Karajan für viele, auch nicht Hochkulturaffine, der Inbegriff des Dirigenten an sich wurde, so ist Domingo für ebenso viele der Opernsänger schlechthin. Vergleichbare Beispiele sind rar. Denn Domingo ist Weltmeister auf so vielen Gebieten, dass es ihm keiner gleichmachen kann. Was ihn antreibt, ist in erster Linie, neben Talent, Disziplin und anderen Gottesgaben, wohl auch eine Begeisterungsfähigkeit für Musik und Theater, die ihn durch Jahrzehnte befeuert und antreibt. Denn, um vielleicht einen etwas weniger öffentlich bekannten Domingo-Aspekt anzuführen: Wer ihn auch nur einmal nach einem langen Arbeitstag bei einer Abendvorstellung in der Staatsopern-Loge erlebt hat, wie er an Vorstellungen, an denen er nicht teilhat, mit den Sängern mitlebt, mit der Musik fiebert und einfach positiv und begeistert „die Sache“ Oper liebt, der hat gesehen, dass es bei Domingo eine Ermüdung, eine Routine oder auch nur einen Gewöhnungseffekt nicht gibt. Muss noch über seine Stimme geschrieben werden? Muss nicht – jeder Opernliebhaber (er)kennt sie blind. Muss noch über seine besten Rollen geschrieben werden? Auch nicht, denn Domingo hat so viele Paradepartien, dass die Aufzählung zu lang und ohnedies immer auch unvollständig wäre. Über seine überreiche Staatsopern-Geschichte? Auch nicht, denn man weiß ohnedies, dass er 1967 als Don Carlo debütierte, hier zahllose Abende – als Sänger und als Dirigent – absolvierte und alle Ehrungen, die ein Künstler erhalten kann, auch erhielt. So ist er nicht nur Kammersänger, sondern auch noch Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper – eine Auszeichnung, die nur ganz wenigen Sängerinnen und Sängern zuteil wird. Überdies – was soll man über eine Staatsopern- Geschichte sprechen, da diese ohnedies noch nicht abgeschlossen ist? Im Mai wird Domingo an das Haus wiederkehren und den Giorgio Germont in La traviata singen. 337 Jahre alt wird Emilia Marty dank des Wunderelixiers in Věc Makropulos. Eine gute Nachricht! Denn hat sie ihrem Kollegen tatsächlich etwas abgegeben, darf sich das Wiener und internationale Opernpublikum auf kommende 262 Jahre mit Plácido Domingo freuen. Und auf viele weitere Vorstellungen, Sternstunden, Ausnahmeabende. Und auf weitere 262 Jahre ehrliche Begeisterung!

Oliver Láng