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Am Stehplatz: Richard Schmitz

Angefangen hat meine persönliche Stehplatz-Zeit – beinahe – mit einer Ohrfeige. Diese wurde mir von meiner Mutter nachdrücklich angetragen, für den Fall, dass ich mich weiterhin standhaft weigerte in die Oper zu gehen. Nicht, dass ich nicht wollte! Nein. Ich fand einfach, dass ich nicht die entsprechend angemessene Kleidung für meinen ersten Opernbesuch hätte. Es blieb aber friedlich: Die Ohrfeige fand nicht statt, ich ging – und absolvierte mit Lohengrin mein Debüt als Stehplatzbesucher. Noch nicht im Haus am Ring, das wurde wiederaufgebaut, sondern im Theater an der Wien. Damit wurde mein persönliches Stehplatz-Kapitel eröffnet, das mich in den nächsten Jahren an vielen Abenden in die Welt der Oper entführen sollte. Nur am Rande möchte ich anmerken, dass es für den damals Dreizehn jährigen besonders attraktiv schien, alleine in die Oper gehen zu dürfen … Mich interessierte in erster Linie das Gesamt erlebnis: Klang und Bild, Raum und Künstler als ein Ganzes. Natürlich hatte ich meine Lieblinge, natürlich auch meine Schwerpunkte: Verdi, selbstverständlich, vor allem seine späteren Opern, selbstverständlichauch Wagner, manches von Puccini. Und schon damals zeigte sich meine Vorliebe fürs Sammeln: Was ich noch gar nicht kannte, das musste ich kennenlernen, und so kümmerte ich mich zum Teil auch um Werke, die etwas seltener gespielt wurden. Bis heute, übrigens! Statt eines Troubadour schaue ich lieber eine Fanciulla an, bis hin zum Neuen, Zeitgenössischen.

Es gab aber Fixpunkte in meinem Stehplatz-Spielplan: Einen Helge Roswaenge etwa musste ich einfach erleben! Mich faszinierten seine Stimme, sein Ausdruck. Und es verblüffte mich, wie unterschiedlich er mit unter ein und dieselbe Partie an verschiedenen, zum Teil knapp hintereinander liegenden Abenden, gestaltete. Lehrreich war für mich in diesem Zusammenhang, wie sensibel und genau das Publikum auf seine jeweilige Tagesleistung reagierte. Wenn er etwa die Anfangs-Cabaletta aus dem Rigoletto nur so runtersang, rührte sich keine Hand, um zu klatschen. Umgekehrt wurde er von größtem Jubel belohnt, wenn er das Bestmögliche gab. Meistens stand ich auf der ersten Galerie, ein Ort, den ich besonders schätzte, und ich erinnere mich, dass ich dort regelmäßig einen Herrn antraf, der konzentriert das Geschehen im Orchestergraben verfolgte. Es handelte sich um den jungen Berislav Klobucar, der vom Stehplatz aus seinen Kollegen zuschaute. Gab es rundherum auch sogenannte „Fraktionsbildungen“ für beziehungsweise gegenden einen oder anderen Sänger, so gehörte ich keiner an. Nicht nur, weil mich diese Gruppenbildungen nicht interessierten, sondern auch, weil ich nach dem Schlussapplaus schnell nach Hause musste – ich war ja Schüler! – und daher für die angeregten „Nachbesprechungen“ keine Zeit hatte.

Die Inszenierung hatte damals noch nicht den Stellenwert, den sie heute besitzt. Dennoch war für mich das Schauspielerische von großer Bedeutung: Ich kann mich erinnern, wie sich ein Erich Kunzdurch den Abend blödelte und Anton Dermotastock steif daneben stand und sich sichtbar ärgerte. Das fiel mir schon deshalb auf, weil Darstellen und Singen für mich eine Einheit bilden und das Fehlendes einen oder anderen mich schmerzhaft berührt. Der Höhepunkt meiner Stehplatz-Zeit waren die Karajan-Callas-Lucia di Lammermoor-Abende. Es handelte sich um das berühmte Gastspiel der Mailänder Scala, übrigens die einzigen Auftritte von Callas im Haus am Ring. Danach flaute meine Stehplatz-Frequenz etwas ab, im Jahr 1956, nachdem Ungarn-Aufstand, engagierte ich mich sozial, und auch manches andere trat in den Vordergrund – ich ging in die Politik und war lange Jahre als Bezirksvorsteher des 1. Wiener Gemeindebezirks tätig.

Eng verbunden bin ich der Wiener Staatsoper bis heute – als Besucher, Moderator, Autor, Kritiker – und Sammler besonderer Aufnahmen!


Dr. Richard Schmitz studierte Jus und Gesang. Langjähriger Bezirksvorsteher in Wien. Mitglied des Beirats der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft. Moderator bei Radio klassik.